RE:Barlaam 1

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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B. und Joasaph, griechischer Roman, geschrieben 620–634 n. Chr.
Band III,1 (1897) S. 21 (IA)–23 (IA)
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Barlaam. 1) Barlaam und Joasaph, ein griechischer Roman, der in den ältesten Hss. die Aufschrift trägt: Ἱστορία ψυχωφελὴς ἐκ τῆς ἐνδοτέρας τῶν Αἰθιόπων χώρας τῆς Ἰνδῶν λεγομένης πρὸς τὴν ἁγίαν πόλιν μετενεχθεῖσα ⟨suppl. καὶ συγγραφεῖσα⟩ διὰ Ἰωάννου μοναχοῦ ἀνδρὸς τιμίου καὶ ἐναρέτου μονῆς τοῦ ἁγίου Σάβα (ἐν ᾗ ὁ βίος Βαρλαὰμ καὶ Ἰωάσαφ τῶν ἀοιδίμων καὶ μακαρίων). Spätere Manuscripte machen durch ein naheliegendes Versehen aus dem Sabas- ein Sinaikloster, oder sie identificieren den leider sonst unbekannten Mönch Johannes aus der Laura des h. Sabas nahe bei Jerusalem mit dem berühmten Johannes Damascenus († um 754), dem abschliessenden Dogmatiker der griechischen Kirche; zwei Hss. erklären sogar ihren griechischen Text für eine blosse Übersetzung, die der Iberer Euthymios – ein gelehrter Mönch im iberischen Kloster auf dem Athos, † 1026 – sei es aus dem Aethiopischen, sei es aus dem Iberischen (Georgischen) ins Griechische vorgenommen habe. Die Wertlosigkeit dieser Hypothesen hat H. Zotenberg in seiner grundlegenden Abhandlung Mémoire sur le texte et sur les versions orientales du livre de Barlaam et Joasaph in Notices et Extraits des Mss. etc. t. XXVIII 1 p. 1–166, Paris 1887 (auch separat erschienen: Notice sur le livre de Barlaam et J., Paris 1886) erwiesen, insbesondere festgestellt, dass das Buch ein original-griechisches ist. Da äussere Zeugnisse über die Abfassungszeit fehlen, bestimmt Zotenberg als solche nach inneren Gründen die Jahre zwischen 620 und 634; später kann sie wohl trotz Max Müller Selected essays I, London 1881 nicht angesetzt werden, da selbst die leiseste Spur einer Kenntnis der neuen Religion, des Islam, in dem Buche fehlt, andrerseits scheint die monotheletische Häresie schon bekämpft zu werden; wer die betreffenden Ausdrücke (ἐν δύο φύσεσι νοεραῖς, θελητικαῖς τε καὶ ἐνεργητικαῖς καὶ αὐτεξονσίοις καὶ κατὰ πάντα τελείως ἐχούσαις) schon genügend aus dem Gegensatz gegen den seit 451 in vielen Gegenden überwiegenden Monophysitismus erklärt findet, kann unbedenklich mit A. Robinson [22] den Verfasser im 6. Jhdt. oder vielleicht noch früher ansetzen. Das Buch gehört zu den interessantesten Erscheinungen innerhalb der christlich-griechischen Litteratur; es ist die in jeder Hinsicht, formell wie inhaltlich, vornehmste von den seit dem 6. Jhdt. so massenhaft auftauchenden Unterhaltungsschriften mönchischen Ursprungs. Nicht zufällig hat es daher auch eine ungeheure Verbreitung gefunden, allerdings erst in der zweiten Hälfte des Mittelalters; über siebzig griechische Hss. desselben sind bekannt, Übersetzungen und prosaische oder poetische Bearbeitungen fast in allen Sprachen der christlichen Welt, selbst muhammedanische Araber und Juden haben es sich angeeignet. Doch was mehr ist, in dem Buche haben sich verschiedene Welten innig verschmolzen: der Verfasser ist zugleich bibel- und bekenntnisfester Christ, philosophisch und rhetorisch vorzüglich gebildeter Grieche und ein begeisterter Liebhaber buddhistischer Überlieferungen. Die eine Hauptperson des Romans, der Mönch B., verwendet als Bekehrungsmittel mit Vorliebe Parabeln, neben und zwischen neutestamentlichen stehen hier in grösserer Zahl buddhistische, und die Grundidee des Romans, dass der Königssohn Joasaph, nachdem er durch Zufall Not und Tod kennen gelernt, unfähig das bisherige Freudenleben fortzuführen, sich von dem christlichen Asketen B. die Rätsel des Lebens deuten lässt und alsbald unter Verzicht auf Reich und Güter in die Einsamkeit flüchtet, aber dann alle Anschläge der Götzendiener vereitelnd auch seinen Vater und dessen ganzes Volk für den Glauben gewinnt und so zum Heiligen wird, der auch nach dem Tode zu wirken fortfährt, das ist, nur christianisiert, die Lebensgeschichte des Çakyamuni Buddha, wie sie in den uralten Legendenbüchern der Buddhisten, öfters wörtlich an unsern Roman anklingend im Lalita-Vistara, erzählt wird. Vgl. F. Liebrecht Die Quellen des B. und Josaphat im Jahrbuch f. roman. u. engl. Litt. II (1860) 314–334. Th. Benfey Pantschatantra, Lpzg. 1859. Ε. Βraunholtz Die erste nicht christl. Parabel des B. u. J., ihre Herkunft u. Verbreitung, Halle 1884. Wie der Mönch Johannes in den Besitz jener buddhistischen Stoffe gelangt ist, ist schwer zu entscheiden, am wahrscheinlichsten durch indische Pilger, die er an den heiligen Stätten traf; doch könnte er auch, ein weitgereister Weltmann wie Kosmas, in Indien selber dies Wissen geholt haben.

Dass er von christlichen Quellen ausser der Bibel auch Kirchenväter öfters benützt, obwohl er sie – es würde das zu der Einkleidung seiner Geschichte nicht passen – nicht nennt, z. Β. den Gregor von Nazianz, den Nemesius, wusste man längst; kürzlich hat A. Robinson entdeckt, dass die verloren geglaubte Apologie des Aristeides (s. o. Bd. II S. 896) fast vollständig von ihm aufgenommen, und zwar einem Nachor, der als Ps.-B. die Niederlage des Christentums bei einer öffentlichen Disputation herbeiführen soll, durch Gottes Fügung nun aber gerade jeden Widerspruch gegen seine Apologie des wahren Glaubens ertötet, in den Mund gelegt worden ist (s. Texts and Studies I 1, Cambridge 1891); weiteres Forschen wird gewiss noch mehr solche wertvolle Überreste älterer Litteratur, auch ausserchristlicher, in dem Buche finden. Bei Theologen und Philologen hat es nur [23] noch nicht die verdiente Aufmerksamkeit erregt, und zunächst bedürfte es einer zuverlässigen Textausgabe. Die Editio princeps von J. Fr. Boissonade Anecdota graeca IV 1–365 (Paris 1832) ist flüchtig angefertigt, einen blossen Abdruck davon bietet Migne Patrol. graec. XCVI 857ff. Ausserdem existiert nur noch eine sich gleichfalls für eine Editio princeps haltende Ausgabe von Sophronios μοναχὸς Ἁγιορείτης, Athen 1884 (85); sie ist im Westen kaum bekannt geworden. Wertvolle Beiträge zu einer neuen Constitution des Textes haben Zotenberg und Robinson geliefert, sonstige Litteratur s. bei Krumbacher Gesch. d. byzantin. Litt. § 268.

Die lange erwartete Untersuchung von E. Kuhn über ‚B. und Joasaph‘ ist endlich als ‚eine bibliographisch-litterargeschichtliche Studie‘ in den Abh. Akad. München XX 1 (1894) 3–87 erschienen, sie bietet nicht blos eine vollständige bibliographische Übersicht über alle Versionen und alle auf den Roman bezüglichen Schriften, sondern den Versuch einer selbständigen und neuen Lösung des Problems. Er vergleicht eine neuerdings veröffentlichte georgische und eine muhammedanisch-arabische Bearbeitung der B.-Geschichte – letztere 1888/89 in Bombay gedruckt unter dem Titel: das Buch Balauhar und Bûdâsaf in Ermahnungen und Gleichnissen voll Weisheit – mit dem griechischen Text und findet beide unabhängig von dem letzteren, doch so, dass der georgische dem griechischen näher steht und mit ihm aus einer gemeinsamen Wurzel (y) stammt. Diese Recension dürfte in syrischer Sprache oder dem christlich-palästinischen Dialekte geschrieben gewesen sein; der Araber von Bombay, der Archetyp aller muhammedanischen Texte soll aber weder von ihr abhängig noch ihre Grundlage sein, vielmehr scheinen beide zurückzugehen auf einen Pahlavitext, den im östlichen Iran, wo Zoroastrismus, Buddhismus und Christentum in innige Berührung kamen, ein Christ, um im Wettstreit der Religionen die erbaulichen Elemente der buddhistischen Tradition zu Gunsten seines Glaubens zu verwerten, – um 500! – niedergeschrieben hatte. Die Eigenart dieser christlichen Urform soll am treuesten in der georgischen Recension erhalten sein, in den arabischen Bearbeitungen musste natürlich der christliche Charakter verwischt werden, der griechische Text (Excurs II S. 45ff.) ‚erweist sich den älteren orientalischen Texten gegenüber als eine selbständige und mit überlegenem Geist und Wissen angefertigte Umarbeitung, deren Verfasser freilich durch seine Vorliebe für theologische Auseinandersetzungen die richtige Ökonomie des Textes als einer Erzählung einigermassen beeinträchtigt hat‘. Die Bedenken gegen einen Stammbaum, bei dem der Grieche erst in die dritte Linie käme und zeitlich doch wieder auffallend nahe an die Wurzel heran, scheinen mir vorläufig noch erheblicher als die von Kuhn für seine Hypothese beigebrachten Argumente; solange man aber den Georgier und den Araber von Bombay nur aus Referaten kennt, die eine Vergleichung des Einzelnen nicht zulassen, wird man eine Entscheidung gar nicht wagen können.