RE:Codex Hermogenianus

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
fertig  
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Sammlung kaiserlicher Konstitutionen
Band IV,1 (1900) S. 164167
Codex Hermogenianus in der Wikipedia
GND: 4317458-9
Codex Hermogenianus in Wikidata
Bildergalerie im Original
Register IV,1 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|IV,1|164|167|Codex Hermogenianus|[[REAutor]]|RE:Codex Hermogenianus}}        

Codex Hermogenianus ist eine Sammlung kaiserlicher Constitutionen, wie der Codex Gregorianus. Auch er ist uns nicht erhalten, aber Reste von ihm begegnen in denselben Quellen (ausser den Appendices zur Lex Romana Wisigothorum), aus denen wir unsere Kenntnis vom Codex Gregorianus (s. d.) schöpfen.

Das Material von datierbaren Constitutionen, das wir auf den C. H. zurückführen können, setzt sich folgendennassen zusammen:

     1. J. 291: 1 Const. (Coll. 6, 5).

     2. J. 293–294: 22 Const. (Vat. frg. 270. Coll. 10, 3–6. Cons. 4, 9–11. 5, 6. 6, 10–19. L. R. Wisig. 1. 2 [Krüger Collect. III 234f.]. L. R. Burg. 14, 1–3 [Krüger ebd. 244; vgl. Cod. Iust. VIII 24, 2]). Für diese 22 Constitutionen wird uns der C. H. als Quelle genannt. Hierzu kommt aber noch eine grosse Zahl der aus jenen Jahren im Codex Iustinianus erhaltenen Stücke (nach meiner Zählung im ganzen ungefähr 440). Dieses Gesetzbuch giebt seine Quelle nicht an, so dass die Verteilung auf die beiden genannten Codices – eine andere Quelle kommt hier nicht in Betracht – zweifelhaft bleibt. Aber jedenfalls wächst dadurch jene Zahl von 22 Constitutionen des C. H. noch um ein sehr beträchtliches.

     3. J. 295: 1 Const. (Cons. 5, 7). Der Codex Iustinianus hat aus diesem Jahre im ganzen nur fünf Gesetze.

     4. J. 299–305: Die 20 Const., welche der [165] Codex Iustinianus aus diesen Jahren anführt (zusammengestellt am Schlusse der Ausgaben dieses Gesetzbuches von Krüger; allerdings stehen die Subscriptionen nicht überall fest). Da Iustinians Compilatoren für die frühere Zeit nur die Codices Gregorianus, Hermogenianus und Theodosianus als Quelle benutzt haben, da ferner der Codex Gregorianus nur bis zum J. 295 reichte und der Codex Theodosianus erst mit dem J. 312 anhob, so ergiebt sich, dass sämtliche aus der Zwischenzeit stammenden Stücke des Codex Iustinianus – von 296–298 und von 306–312 enthält dieser überhaupt keine Gesetze – nur aus dem C. H. stammen können. Höchstens könnten vereinzelte Extravaganten des Codex Gregorianus, wie Coll. 15, 3, concurrierend in Betracht kommen.

     5. J. 312–324: 3 Const. (Cod. Iust. III 1, 8 [314]. VII 16, 41 [undatiert]. VII 22, 3 [314]). Diese Stücke werden auf Constantin und Licinius als Augusti zurückgeführt. Da nun aber feststeht, dass im Codex Theodosianus Licinius überall als Mitregent getilgt ist, so bleibt für diese Gesetze, welche ihn als solchen benennen, keine andere Quelle als der C. H. übrig (Mommsen Herm. XVII 532. Krüger 281f.).

     6. J. 364–365: 7 Const. (Cons. 9, 1–7).

     Sehr bestritten ist die Frage nach der Zeit der Abfassung des C. H. Eine weit verbreitete Meinung setzt ihn – was ja auf den ersten Blick das nächstliegende zu sein scheint – wegen der vorstehend unter Ziffer 6 erwähnten Constitutionen nach 365 (so Puchta § 135. Rudorff 276. Heimbach 50f. Huschke 289ff. Karlowa 941f.). Indessen ist hierbei unerklärlich, wie aus dem 40jährigen Zeitraum zwischen den übrigen datierten Constitutionen (bis um 324; das letzte sichere Jahr ist sogar 314) und diesen von 364 und 365 nicht eine einzige in den voriustinianischen Sammlungen auf uns gekommen sein sollte. Es kann kein Zufall sein, dass uns aus der früheren Zeit nach der obigen Aufstellung ungefähr 47 Stücke erhalten sind, aus der späteren bis 364 gar keins, während für den Verfasser, der für die Praxis arbeitete, doch gerade die jüngeren Constitutionen die wichtigsten sein mussten. Meines Erachtens folgt hieraus mit Notwendigkeit, dass wir in den sieben Gesetzen der J. 364 und 365 einen, vielleicht nicht einmal vom Verfasser selbst gefertigten Nachtrag zu erblicken haben (ebenso Krüger 282. Teuffel § 393, 3). Neuerdings haben Mommsen und Krüger a. a. O. auf Grund der unter Ziffer 5 angeführten Thatsachen die Entstehung des C. H. in die Zeit von 314–324 gesetzt, da bei einer Herausgabe nach der Rescission der Acta des Licinius auch im C. H. die Tilgung seines Namens hätte erfolgt sein müssen. Mir scheint auch diese Annahme nur unter Einschränkungen zuzutreffen. Auszugehen ist meines Erachtens von einer Notiz bei dem christlichen Dichter Sedulius, der um die Mitte des 5. Jhdts. (Teuffel § 473) die biblische Geschichte zuerst in Versen (paschale carmen), dann in Prosa (paschale opus) bearbeitete. Wegen der zweiten Herausgabe seines Werkes glaubte er sich gegen missgünstige Kritiker verteidigen zu müssen und weist in deren Vorrede (Ep. ad Macedonium p. 172 Huemer, Corp. SS. eccl. lat. Vind. X) darauf hin, dass auch andere heidnische wie christliche Schriftsteller [166] derartige Umarbeitungen und Erweiterungen ihrer Werke vorgenommen hätten. Hierbei heisst es: Cognoscant Hermogenianum, doctissimum iuris latorum, tres editiones sui operis confecisse. Die früher oft versuchte, neuerdings von Karlowa (942) wieder aufgenommene Beziehung dieser Worte auf die libri iuris epitomarum des Hermogenian (vgl. u.) ist im höchsten Grade unwahrscheinlich, da dieses Werk vor Iustinian niemals erwähnt wird, während der C. H. im 4. und 5. Jhdt. zu den bekanntesten Büchern zählte.

Wenn sich aber die Worte des Sedulius auf den C. H. beziehen, so fragt sich, ob dessen drei Recensionen nicht aus unserer Überlieferung erkennbar sind. Und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wird man das wenigstens für die erste behaupten können. Wenn man das bestimmbare und datierbare Material des C. H., das uns erhalten ist, überblickt, so fällt die grosse Zahl der aus den J. 293 und 294 stammenden Constitutionen auf. Aus dem J. 295 besitzen wir nur ein sicher dem C. H. angehöriges Gesetz (fünf im Cod. Iust. sind unbestimmbar), aus den nächsten drei Jahren 296–298 überhaupt keine Constitutionen und aus den dann folgenden (299ff.) auch nur vereinzelte im Codex Iustinianus, die auf den C. H. zurückgehen. Da nun zweifellos für die Praxis die neueren Gesetze von besonderer Wichtigkeit waren, so spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch der C. H. (ebenso wie der Codex Gregorianus) zuerst im J. 295 oder kurz darauf veröffentlicht ist (so neuerdings auch Kipp 54). Mittelst dieser Annahme wird auch noch eine andere Erscheinung erklärlich. Der Verfasser des C. H. (und ebenso der des Codex Gregorianus) bezeichnet nämlich das J. 293 schlechthin durch Augustis consulibus und das J. 294 durch Caesaribus consulibus (ohne Iterationsziffer); Diocletian und Maximian sind vorher (287. 290) und nachher (299. 303. 304) zusammen Consuln gewesen; Constantius und Galerius haben ebenfalls wiederholt mit einander die Fasces geführt (300. 302. 305). Wenn der C. H. erst zwischen 314 und 324 oder gar erst nach 365 entstanden wäre, so wäre es im höchsten Grade auffallend, wie der Verfasser für die gar nicht mehr regierenden Kaiser die doch in den Archiven gewiss nicht übliche, abgekürzte und keine genaue Datierung zulassende Bezeichnung gerade für diese Jahre gewählt hätte. Sie ist doch nur dann erklärlich, wenn damit die beiden letzten Jahre gemeint waren. Wir sind demnach zu der Annahme berechtigt, dass die aus dem C. H. stammenden Gesetze von 296–324 erst bei einer späteren Recension aufgenommen sind, und diese muss man allerdings mit Mommsen und Krüger (s. o.) vor die Unterwerfung des Licinius setzen. Ob man noch einen Schritt weiter gehen und die Gesetze von 296–305 der zweiten, die von 312–324 der dritten Recension zuschreiben darf, muss dahingestellt bleiben. Zurückzuweisen dagegen ist die Ansicht, welche die sieben Constitutionen aus den J. 364 und 365 (o. Ziffer 6) durch die Worte des Sedulius zu erklären sucht, also in ihnen einen Rest der dritten Ausgabe erblickt. Dagegen spricht der Wortlaut jener Stelle, wonach die drei Recensionen vom Verfasser selbst besorgt sein sollen (das ist von Bedeutung, [167] denn gerade der Vorwurf der Umarbeitung des eigenen Werkes ist es, wogegen Sedulius sich verteidigt); wenn wir die erste Ausgabe richtig in das J. 295 gesetzt haben, so kann der Verfasser im J. 365 kaum noch gelebt haben. Wir müssen also dabei stehen bleiben, dass diese Constitutionen einen späteren nach den drei Ausgaben des Verfassers (wahrscheinlich von anderer Hand) hinzugefügten Nachtrag darstellen.

Dass im Verhältnisse zum Codex Gregorianus der C. H. das jüngere Werk war, geht daraus hervor, dass er bei Aufzählungen (Cod. Theod. I 1, 5; Interpr. zu ebd. I 4, 3. Iust. C. Haec. pr.; Summa 1) regelmässig nach jenem genannt wird. Nach unserer obigen Darstellung aber muss er sehr nahe an den Codex Gregorianus herangerückt werden. Wie diese Veröffentlichung der beiden Sammlungen so schnell nach einander zu erklären ist, darüber sind nach Lage unserer Quellen nur Vermutungen möglich. Auf eines mag hingewiesen werden: in den voriustinianischen Quellen – die iustinianischen entziehen sich einer Controlle – finden sich für die J. 293 und 294 nur vier Constitutionen aus dem Codex Gregorianus (Cons. 1, 9. 9, 9. 9, 18. 19), dagegen, wie wir sahen (oben bei Ziffer 2), 22 aus dem Codex Hermogenianus. Dieses Verhältnis kann kaum auf Zufall beruhen. Man kann annehmen, dass der Codex Gregorianus jene Jahre mit den früheren im ganzen gleichmässig berücksichtigte, der C. H. dagegen wegen des besonderen Interesses der Praxis an den neuesten Constitutionen gerade innerhalb dieser eine Nachlese veranstaltete.

Der C. H. war nicht wie der Codex Gregorianus in Bücher, sondern nur in Titel (und zwar mindestens 69; vgl. Schol. Sin. 5 Krüger) eingeteilt. Wenn er also auch den Codex Gregorianus an Umfang bei weitem nicht erreichte, so darf man sich diesen doch auch nicht zu gering vorstellen; aus dem genannten Titel wird die 120. Constitution erwähnt.

Über den Urheber des Werkes, Hermogenianus (nicht Hermogenes; vgl. Mommsen Ztschr. d. Sav.-Stiftg. X 348f.) ist nichts bekannt. Dass er eine Person mit dem gleichnamigen Verfasser der libri iuris epitomarum war, ist, da die Zeitverhältnisse im ganzen stimmen, möglich, aber nicht beweisbar (vgl. den Art. Hermogenianus).

Über Entstehungsort, Quellen, Benützung, gesetzliche Geltung gilt das gleiche wie beim Codex Gregorianus. Auch die Ausgaben sind immer gemeinschaftlich erfolgt und in der Litteratur beide Sammlungen stets nebeneinander behandelt, so dass wegen aller dieser Punkte auf den Artikel Codex Gregorianus verwiesen werden kann.