RE:Euphranor 8
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Von Korinth, vielseitiger Künstler | |||
Band VI,1 (1907) S. 1191 (IA)–1194 (IA) | |||
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8) Euphranor von Korinth (Isthmius Plin.), ein außerordentlich vielseitiger Künstler, Erzbildner, Bildhauer, Maler; auch Reliefs, was in unserer literarischen Tradition sehr selten ist, werden ausdrücklich von ihm bezeugt. Auch schriftstellerisch war er tätig, indem er Lehrbücher über die Proportionen (de symmetria Plin. XXXV 123, praecepta symmetriarum Vitruv. VII praef. 14) und über das Kolorit verfaßte, von denen die letztere Schrift, da sie unter den von Plinius für seine Malergeschichte wenn auch nur indirekt benützten Werken figuriert, auch kunsthistorisches Material enthalten zu haben scheint (Plin. I ind. auct. l. XXXV). Wenn ihn Plinius sowohl in der chronologischen Liste der Erzgießer XXXIV 50, als in der Malergeschichte XXXV 128 in die 104. Olympiade setzt, so beruht das offenbar darauf, daß er die in jene Olympiade fallende Schlacht bei Mantineia im Bilde verherrlicht hatte. Wenn aber unter seinen plastischen Werken auch ein Alexander auf der Quadriga erwähnt wird (Plin. XXXIV 77), so folgt daraus noch nicht, daß dieser damals schon König war. Die Anfänge seines Schaffens müssen vielmehr möglichst hoch hinaufgerückt werden, da sein Enkelschüler Nikias noch mit Praxiteles zusammenarbeitet. Sein Lehrer Aristeides von Theben (s. o. Bd. II S. 896f.), der gleichfalls sowohl als Maler wie als Bildhauer tätig war, verdankte seine Ausbildung in der einen Kunst dem Stifter der sog. attischen Malerschule Euxeinidas, in der anderen dem großen Polykleitos. Plin. XXXV 75. 111. XXXIV 50; vgl. Kroker Gleichnam. griech. Künstler 25ff. Robert Arch. Märch. 83ff.; er gehörte also zu jener Klasse von Künstlern, die in den letzten Jahrzehnten des 5. und den ersten des 4. Jhdts. ein Kompromiß zwischen attischem und peloponnesischem Stil anstreben, eine Richtung, die noch Polyklet selbst in seinem Alter eingeschlagen zu haben scheint. Daß auch E. selbst dieser Tendenz huldigte, ja ihr hervorragendster Vertreter war, läßt sich aus manchen Anzeichen erschließen. Jedesfalls war er lange in Athen tätig und erhielt auch dort das Bürgerrecht (Plut. de glor. Ath. 2. Schol. Iuven. III 217), vermutlich für sein Gemälde in der Stoa Eleutherios.
Von seinen plastischen Werken sind uns folgende überliefert: 1) das Kultbild des Apollon Patroos in dessen Tempel bei der Agora von Athen, Paus. I 3, 3; 2) eine Athena, von Q. Lutatius Catulus nach Rom gebracht (Plin. XXXIV 77); 3) Leto, mit ihren Kindern auf den Armen, später zu Rom im Tempel der Concordia (Plin. a. 0.); 4) Hephaistos (Dio Chrysost. 37, 43); 5) Dionysos, bekannt durch die lateinische Inschrift einer in Rom befindlichen Basis aus dem J. 298 n. Chr., die [1192] entweder das Original selbst oder eine Kopie trug CIL VI 48. Loewy Inschr. griech. Bildh. nr. 495; 6) Bonus Eventus, d. h. ein auf diesen Namen umgetaufter griechischer Gott oder Heros, mit einer Schale in der einen, und Ähren und Mohn in der anderen Hand, wahrscheinlich Triptolemos (Plin a. O. Kern Athen. Mitt. XVI 1891, 25ff.); 7) Herakles, bekannt durch die von Falconieri abgeschriebene, jetzt verschollene Unterschrift Ἡρακλῆς Εὐφράνορος IG XIV 1240, die Loewy a. O. 501 ohne Grund für eine Fälschung hält; 8) Paris, sein berühmtestes Werk; 9) Kolossalstatue der Virtus und Graecia, eher Ἀνδρεία (oder Ἀρετή) und Ἑλλάς (Plin. a. O.); 10) Porträtstatue einer Priesterin, durch ihre Schönheit berühmt (Plin. a. O.); 11) Porträtstatue einer betenden Frau (Plin. a. O.); 12) Vier- und Zweigespanne, darunter eins mit König Philipp, ein anderes mit Alexander (Plin a. O.).
Versuche, Kopien dieser Werke nachzuweisen, sind mehrfach gemacht worden. Von der Letogruppe scheint Schreiber Apollon Pythoktonos-Taf. I S. 70ff. 88ff. richtig zwei verkleinerte Nachbildungen im Museo Capitolino (Helbig Führer I² 429) und im Museo Torlonia erkannt zu haben, deren Typus auch auf kleinasiatischen Münzen wiederkehrt. Die strenge Gewandbehandlung, die man dagegen hat geltend machen wollen (Reisch Festgr. von Innsbruck an d. Wien. Philolosenvers. 1893, 151ff. Furtwängler Meisterw. 580), scheint gerade für E. sehr glaublich. Den Paris, von dem ein rhetorisch zugespitztes Apophthegma sagt, daß man ihm sowohl den iudex deorum und amator Helenae als den interfector Achillis ansähe, wollte Robert Votivgemälde eines Apobaten (XIX. Hall. Winckelmannsprogr.) 21ff. in dem sog. Ares Borghese (Brunn-Bruckmann Denkm. griech. u. röm. Skulptur Taf. 68) wiederfinden und hält an dieser Hypothese auch gegenüber den Einwendungen von Furtwängler, der diesen Paris in einem süßlich sentimentalen, am besten durch ein Exemplar in Woburn Abbey vertretenen Typus zu erkennen glaubt (Statuencopien im Altertum Abh. Akad. Münch. XX 1896, 566ff. Taf. VI), noch immer fest. Auch wenn die Statue nicht mit dem Bogen, sondern mit Lanze und Wehrgehenk zu ergänzen ist, bleibt die Deutung auf Paris möglich, der noch auf dem mediceischen Sarkophag (Robert Sark.-Rel. II 11, vgl. S. 17) mit Helm und Wehrgehenk, ja sogar mit dem Schilde dargestellt ist. Unhaltbar ist die mehrfach, z. Β. von Stais, vertretene Hypothese, daß die Bronzestatue von Antikythera der Paris des E. sei schon aus dem Grunde, weil der Apfel, der dann dieser Statue in die erhobene Hand gegeben werden müßte, im 4. Jhdt. eine mythologische Unmöglichkeit ist. Unter den von Furtwängler vorgeschlagenen Zuweisungen (Meisterw. 578ff.) scheint namentlich die des Dionysos von Tivoli (Mon. d. Inst. XI 51. 51a) sehr erwägenswert, nicht minder der versuch, den Bonus Eventus auf einem Carneol des Britischen Museums nachzuweisen (s. auch Furtwängler Ant. Gemmen XLIV 9). Weniger überzeugend ist die Vermutung, daß der Apollon Patroos auf der attischen Münze bei Imhoof-Blumer Num. Com. on Paus. pl. CC, XV. XVII. Overbeck Apollon Münztafel IV 33 und auf Grund dessen in dem sog. Adonis [1193] des Vatikan (Helbig Führer I² 264. Brunn-Bruckmann Denkm. griech. und röm. Sculpt. nr. 434) wiederzuerkennen sei, und daher unterliegt auch bei der ganzen an diese Statue angeschlossenen Gruppe von Werken, zu der auch die Athena Giustiniani gehört und die Furtwängler einer früheren Periode des Meisters zuweisen will, die Zuteilung an E. großen Bedenken.
Von den Gemälden des E. sind weitaus die wichtigsten die Bilder in der Stoa Eleutherios am Markte von Athen; es waren, wie es scheint, Wandgemälde oder große an den Wänden befestigte Tafelbilder; auf der mittleren Wand die Schlacht bei Mantineia, von der sich eine Kopie in Mantineia befand (Paus. VIII 9, 8), auf den beiden Seiten wänden die zwölf Götter, unter denen der Poseidon und die Hera besonders gerühmt werden, und gegenüber Theseus mit dem Demos und der Demokratia (Paus. I 3, 3ff. Plin. XXXV 129. Plut. d. glor. Athen. 2 p. 346 A. Luc. imag. 7. Val. Max. VIII 11, 5. Eustath. Il. 145, 11). Ansprechend vermutet Schreiber Festschr. f. Benndorf 96f., zum Teil nach dem Vorgang von Brunn Künstlergesch. II 183, daß das letztere Bild noch andere Heroen, etwa die Eponymen der Phylen, enthalten habe, um auch der Figurenzahl nach ein Pendant zu den zwölf Göttern zu bilden, und daß die drei Bilder einen engverbundenen Zyklus gebildet hätten, indem die Götter und Heroen als gnädige Helfer in der Schlacht gedacht gewesen seien, ähnlich wie in der Marathonschlacht der Stoa Poikile, nur daß dort die Götter den oberen Raum der Wandfläche einnehmen, während sie hier auf den Seitenwänden in gleichem Niveau mit den Kämpfenden saßen, wofür wieder die Göttergruppen auf den Friesen des Siphnier-Schatzhauses in Delphi, des sog. Theseions und des Parthenons Analogien bieten. Außerdem wird von E. nur noch ein in Ephesos befindliches Tafelgemälde erwähnt, das den simulierten Wahnsinn des Odysseus darstellte (Plin. a. O.; vgl. Luc. de domo 30).
E. stand sowohl bei seinen Zeitgenossen als in der hellenistischen und römischen Zeit in hohem Ansehen. Die Kunstschriftsteller rühmen seine Vielseitigkeit, sein Anpassungsvermögen, seinen Fleiß, seine sich stets gleichbleibende Vortrefflichkeit in allen Kunstzweigen (Plin. XXXV 128. Quintil. XII 10, 6). Dennoch scheint seine Wirksamkeit in der Malerei größer und nachhaltiger gewesen zu sein als in der Plastik, obgleich die Römer eine Vorliebe für seine Statuen gehabt haben (Iuven. sat. III 217). In der Malerei waren Charmantides (Plin. XXXV 146, vgl. o. Bd. III S. 2147), Leonidas von Anthedon (Steph. Byz. s. Ἀνθηδών. Eustath. Il. 271, 28) und Antidotos, der Lehrer des von Praxiteles so hochgeschätzten Nikias, seine Schüler (Plin. XXXV 130, vgl. o. Bd. I S. 2398); von Plastikern aus seiner Schule erfahren wir in der Literatur nichts. Doch hat wahrscheinlich Loewy Inschr. griech. Bildh. 105 mit Recht in dem Σώστρατος Εὐφράνορος auf einer im athenischen Dionysostheater gefundenen Künstlerinschrift des 4. Jhdts. (IG II 1627) einen Sohn des berühmten E. und also doch aller Wahrscheinlichkeit nach auch seinen Schüler erkannt, und dieser Sostratos wird dann wohl derselbe sein, der bei Plin. XXXIV 51 in der chronologischen [1194] Liste der Erzgießer unter Ol. 113, also in dem Epochenjahr des Lysippos, aufgeführt wird. Die Kunstschriftsteller aber pflegen die Charakteristik des E. stets im Zusammenhang mit der Geschichte der Malerei zu geben. Xenokrates faßt das Urteil der lysippischen Schule über E. dahin zusammen, daß er sich der Symmetrie gewissermaßen durch einen Gewaltstreich bemächtigt habe, doch bilde er noch die Köpfe zu groß, die Gelenke zu stark und sei in universitate corporum exilior, was gewöhnlich mit ‚schmächtig‘ (ἰχνότερος, λεπτότερος) wiedergegeben wird, vielleicht aber vielmehr ‚niedrig gewachsen‘ (βραχύτερος) bedeuten soll (Robert a. O. 25). Jedesfalls lehrt dieses Zeugnis, daß die Proportionen des E. dem Ideal Lysipps verhältnismäßig nahe kamen, daß er also wie dieser auf eine Korrektur der polykletischen Proportionen bedacht war, womit ohne Zweifel auch seine Schrift περὶ συμμετρίας zusammenhängt. Die pergamenischen Kunstschriftsteller zählten E. zu den Klassikern der Malerei (Quintil. XII 10, 6). Was aber vor allem hervorgehoben zu werden pflegt, ist die Würde und Vornehmheit seiner Kunst, die sich auch in der Wahl der Gegenstände, Göttern, Heroen, Schlachtdarstellungen, Kolossalbildern, wie die Andreia und Hellas, und Viergespannen ausspricht, wie er denn überhaupt für die Darstellung des Pferdes eine Vorliebe gehabt zu haben scheint. Beachtenswert ist auch, daß unter seinen Werken Athletenstatuen gänzlich zu fehlen scheinen und von Porträtstatuen nur Könige und Frauen genannt werden. Laszive Darstellungen hält Fronto (ad Ver. 1) bei E. für undenkbar. In diesen Zusammenhang gehört auch das vielleicht authentische Apophthegma, daß sein Theseus mit Rindfleisch, der des Parrhasios mit Rosen genährt sei (Plut. de glor. Athen. 2. Plin. XXXV 129). Wenn Vitruv. VII praef. 14 den E. unter die minus nobiles rechnet, so steht er oder vielmehr der von ihm benutzte auch sonst durch manche Eigentümlichkeiten des Urteils ausgezeichnete Kunstschriftsteller mit dieser seiner Schätzung allein. Die Ansicht, daß E. auch kunstgewerbliche Arbeiten verfertigt habe, beruht auf der falschen Lesung scyphos für typos bei Plin. XXXV 128. H. Brunn Künstlergesch. I 314ff. II 181ff. Overbeck Plast. II⁴ 116ff. Murray Sculpt. II 328. Collignon Sculpt. II 350ff. Robert Arch. Märch. 68ff. 75. 83ff.; Votivgemälde eines Apobaten, XIX. Hall. Winckelmannsprogr. 21ff. Furtwängler Meisterwerke 578ff.; Statuenkopien im Altertum (Abh. Akad. Münch. XX 1896, 566ff.). Klein Gesch. d. griech. Kunst II 320ff.