Rokokofiguren
Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.
Fremd und absonderlich, wie eine veraltete Seltenheit, welche das Gepränge einer vergangenen Zeit in die neue hineinträgt, so erscheint der Wiedehopf, wenn er sich von dem Boden in zuckendem Fluge mit bald schnellerem, bald langsamerem Flügelschlage erhebt und dem Hochwalde oder den Bäumen der Trift zustrebt. Wenn er sich niedersetzen will auf den derben Ast einer alten Eiche, dann schwebt er einige Augenblicke über der Stelle und lüftet wie ein Prachtfächer den herrlichen Federbusch seines Kopfes. Dann schreitet er dahin wie eine Figur aus dem Zeitalter der Allongeperücken. Ja, eine Rokokoerscheinung ist er, in Gestalt, Haltung, und eigenthümlichem Aufbau des Putzes. Alles an ihm ist auffallend: der lange schlanke, sanftgebogene Schnabel, welcher seitlich zusammengedrückt spitz zuläuft; der merkwürdige Kopf mit dem hohen, dunkel rostgelben Federbusch, dessen Spitzen schwarz gefärbt sind; die im Vergleich zum pomphaften Aufbau des 29 Centimeter großen Vogels kurzen, derben Füße; der mittellange, am Ende gerade abgeschnittene, schwarze, in der Mitte weißgebänderte Schwanz mit den breiten Federn, endlich das weiche lockere Federkleid. Es ist auf der Oberseite lehmfarbig, auf dem Mittelrücken, den Schultern und den Flügeln schwarz und gelblichweiß quer gestreift, auf der Unterseite hoch lehmgelb, an den Flanken entlang schwarz gefleckt.
Das Weibchen, welches sich vom Männchen durch ein etwas schmutzigeres Gefieder unterscheidet, schaut aus der Nisthöhle neugierig hervor oder sitzt mit nach hinten gelegter Haube in gebeugter Stellung auf dem Aste und empfängt den Gefährten mit unverkennbarer Theilnahme. Im Bewußtsein der Sicherheit und in der behaglichsten Laune giebt das Männchen einen dumpfen Ton von sich, während sein Minneruf, ein ewig wiederholtes, in Pausen erklingendes „Hup, hup“, den Hörer in hohem Grade langweilt. Dieser jedenfalls dem Weibchen höchst zärtlich erscheinende Laut ertönt bis zum Juli. Eifersüchtig antworten sich [479] im Frühling die nicht weit von einander wohnenden Männchen in dieser eintönigen Sprache, nur daß bei besonderer Erregung zuweilen ein wie aus heiserem Hals hervorgestoßenes „Puh“ dem „Hup“ angehängt wird. Nicht selten nehmen die Nebenbuhler auch einen ergötzlichen Anlauf zum Zweikampf, der jedoch niemals zu einem blutigen Austrag kommt. Der ganze Auftritt besteht in Verfolgungen, zornigen Drohungen und Gebärden, die sich wie unschädliches Säbelgerassel prahlender Renommisten darstellen. Gegenüber andern Vögeln zeigt sich der Wiedehopf sehr zurückhaltend; er sondert sich mit Seinesgleichen streng ab, als fühlte er, daß seine vornehme Figur nicht in die lichten Haufen der gesellig Lebenden paßt. Die Ursache dieses Verhaltens liegt in seiner Arteigenthümlichkeit und scheint im Grunde auf eine hochgradige Aengstlichkeit und nervöse Erregbarkeit zurückgeführt werden zu müssen. Schon sein sehr scheues vorsichtiges Wesen, welches er bei uns zu Lande – im Gegensatze zu seinem Gebahren im Süden – zur Schau trägt, zeugt von Furchtsamkeit. Diese äußert sich aber unverkennbar, wenn er von schreckenerregenden Erscheinungen oder erschütternden Naturereignissen überrascht wird. Dann drückt er sich auf den Boden nieder, lüftet den Federbusch weit auseinander, spreizt den Schwanz, breitet die Flügel kreisförmig aus, legt den Kopf zurück und richtet den Schnabel senkrecht in die Höhe. In dieser Stellung verharrt er so lange, bis die Gefahr vorübergegangen ist. Offenbar hat der ganze Vorgang den Zweck des Schutzes, der Sicherstellung durch Täuschung.
Wenn nur einzelne Individuen zu diesem Mittel ihre Zuflucht nehmen würden, dann müßten wir das Schlußvermögen des Vogels bewundern. Aber es hat mit der Sache doch eine andere Bewandtniß. Da alle Individuen ohne Ausnahme in derselben Weise sich benehmen, so kann es sich nur um eine vererbte Gewohnheit handeln. Wohl ist der Vogel sich dessen bewußt, was er thut, auch kommt der Anstoß von außen; allein nicht Ueberlegung, nicht Nachdenken beherrscht sein Thun, sondern lediglich der Naturtrieb. Der Nervenreflex übt seine unwillkürliche Wirkung aus auf Grund jener vererbten Gewohnheit, die in ihrer Aeußerung ganz feststehende und übereinstimmende Formen annimmt. Es liegt eine irrthümliche Auffassung sehr nahe, die für den oberflächlichen Kenner des thierischen Seelenlebens etwas Wahrscheinliches und Ueberzeugendes hat: man meint vielfach, die jungen Wiedehopfe ahmten nur die alten in der Ausübung ihrer Verstellungskunst nach, es sei das Täuschungsmittel nichts anderes als das Ergebniß getreuer Nachbildung auf Grund eigener Anschauung jedes einzelnen Individuums. Aber wie die Nestbaukunst des Vogels kein Werk der Nachahmung sein kann, weil die Jungen gar nicht sehen, wie es die Alten machen, so sind die zahlreichen ähnlichen Erscheinungen im Thierleben als Arteigenthümlichkeiten, als vererbte Gewohnheiten zu betrachten, wie z. B. das Bemühen der Rebhühner und der Grasmücken, durch den Schein einer Lähmung an Flügeln und Füßen den Feind von der Verfolgung ihrer Brut abzulenken. Die Art und Weise ist bei allen Individuen der einzelnen Gattungen so treu übereinstimmend, daß schon darum eine erlernte Nachbildung ausgeschlossen erscheint, denn letztere würde unbedingt zu mancherlei Verschiedenheiten, zu größeren oder kleineren Abweichungen führen.
In der Berechnung der Größe einer Gefahr erweist sich der Wiedehopf oft recht unsicher; der Grund liegt in seiner Nervosität. Die Schwalbe z. B. muß er doch als ungefährliche Erscheinung kennen, dennoch erschreckt ihn ihr nahes Vorüberfliegen, und sofort bekundet sich ein Anflug von Angst in dem beweglichen, feinfühligen Spiel seines Federbusches.
Der Aufenthalt des sonderbaren Vogels, der in unseren Gegenden etwa von Ende März bis Anfang September verweilt, erstreckt sich mit Vorliebe auf baumreiche Ebenen, Landstriche mit Feldern und Wiesen, Viehtriften mit einzeln stehenden Bäumen. Seine Ansiedlung ist durch das Vorhandensein der Lieblingsnahrung bedingt, die in Mistkäfern und Aasfliegen besteht. Darum hält er sich gern in der Nähe von Kuhherden auf. Die Fliegen nimmt er mit dem rasch zufahrenden Schnabel und verschlingt sie ohne weiteres, dagegen behandelt er den großen und hartbepanzerten Käfer umständlicher; er stößt ihn wiederholt mit dem Schnabel auf den Boden, so daß Flügeldecken, Füße und Brustschilder davonfliegen und der weichere Körperrest übrig bleibt. Diesen wirft er dann in die Höhe, fängt ihn auf und würgt ihn in den Schlund hinab. So verfährt er mit den Mist- und Aaskäfern, den Mai-, Brach- und Rosenkäfern, sowie mit den Heuschrecken und Grillen. Der lange Schnabel dient ihm aber ebenso zum Bohren im Erdboden, und er verschmäht es auch nicht, durch Pochen das Kerbthier aus dem Schlupfwinkel zu treiben. Wir haben ihn schon an Ameisenhaufen beobachtet, wo er sich eifrig mit dem Aufpicken von Ameisenpuppen beschäftigte.
Als Nistplatz sucht sich der Wiedehopf in den meisten Fällen Baumhöhlen aus, ausnahmsweise in Deutschland hier und da auch Mauerlöcher; manchmal nimmt er sogar mit dem flachen Boden vorlieb, dann bereitet er nur eine etwas sorgfältigere Unterlage von trockenen Halmen und feinen Wurzeln. Nur einmal nistet er im Jahr, und obgleich er als Zugvogel, wie gesagt, schon im März zur Heimath zurückkehrt, wird das Gelege doch erst im Mai vollzählig.
Unserem Rokokovogel haftet bekanntlich eine recht schlimme Nachrede an. Man benutzt seinen Namen, um einen hohen Grad von üblem Geruch zu bezeichnen, und leider nicht mit Unrecht, denn es ist Thatsache, daß solch ein junger Wiedehopf von frühester Jugend auf ein höchst unreinliches Dasein führt. Unterläßt es das Weibchen schon teilweise während des Brütens, das Nest rein zu halten, so strotzt letzteres zur Zeit der Jungenpflege vollends von Schmutz und wimmelnden Maden, und die Folge ist, daß die Jungen wie die Alten ein pestienzialisches Aroma ausströmen. Erst nach dem Ausflug der jungen Wiedehopfe, die von den Eltern noch eine Zeitlang draußen gefüttert, fortwährend aber geführt und angeleitet werden, verliert sich der üble Geruch, der wahrlich zu dem stolzen, buntprangenden Federaufputz nicht paßt.
Wenn auch nicht in dem ausgeprägten Maße wie der Wiedehopf, so tritt doch auch der Wendehals, zumal wenn er erregt die Kopffedern zum Schopfe aufrichtet, als Rokokofigur auf. Schon die Zeichnung seines Farbenkleides ist eine ganz absonderliche. Die Grundfarbe der Oberseite ist licht aschgrau und mit feinen dunklen Wellen und Punkten bedeckt, während die weiße Unterseite dunkle Flecke von Dreiecksform in weiten Abständen von einander trägt. Das Gelb der Kehle wie des Unterhalses ist mit Querwellen überzogen. Ein auffallender schwärzlicher Längsstreifen läuft vom Scheitel über den Rücken hinab; außerdem überziehen den Oberkörper schwärzliche, rost- und hellbraune Flecken. Die Schwingen sind mit roth- und schwarzbraunen Bändern durchzogen, die Schwanzfedern fein schwarz gesprenkelt und mit fünf schmalen Bogenbändern geziert. Die Beine sind grüngelb wie der Schnabel, das Auge leuchtet gelbbraun.
Sogleich nach der Rückkehr aus der Fremde zur Heimstätte, die etwa zu Anfang April erfolgt, macht sich dieser echte Frühlingsverkündiger in unseren Feldgärten, Feldgehölzen und Obstbaumpflanzungen, wo alte Bäume ihm Höhlen als Niststätten bieten, bemerkbar durch seinen eintönigen, in regelmäßigen Pausen wiederholten Ruf, der wie „didididididididi“ klingt und die Nachbarmännchen zum Wetteifer herausfordert. Wir folgen der Richtung, woher wir die Töne vernehmen, bis in die Nähe eines Apfelbaums; da verstummt mit einem Male der Vogel. Leise schleichen wir uns dicht an den Baum heran, aber trotz genauen Spähens können wir den Wendehals nicht sogleich entdecken. Das mit der Baumrinde so ziemlich gleichfarbige Gefieder erschwert die Unterscheidung, und das ängstliche, mißtrauische Thierchen bleibt anfangs regungslos sitzen. Doch plötzlich nehmen wir, nachdem unser Hühnerhund uns gefolgt ist, an dem umwulsteten Astloch über dem Stamme eine schlängelnde Bewegung wahr, und jetzt erfaßt das Auge deutlich den Vogel. Er hat den Hals weit ausgereckt, die Kopffedern gelüftet, den Schwanz fächerförmig ausgebreitet und ist mit seinen Kletterfüßen in halb aufrecht hängender Stellung wie angeheftet. Sein ganzer Leib dehnt und beugt sich vor nach der gefürchteten Erscheinung des Hundes, er verdreht förmlich die Gegend um die Augen und läßt unter sichtbarer Bewegung der Kehle gurgelnde Töne vernehmen. Dann wieder dreht er den Hals in Schlangenwindungen und macht eigenthümliche langsame Verbeugungen.
Wir führen dieses Gebärdenspiel ganz auf denselben Beweggrund zurück wie dasjenige des Wiedehopfs, das wir oben geschildert haben; es ist wiederum nichts anderes als das Bestreben des geängstigten Vogels, sich durch Täuschung vor dem Gegenstande [480] seiner Furcht zu schützen. Aber auch hier haben wir es nicht mit etwas Erlerntem, sondern mit etwas Ererbtem zu thun.
Der Hund wird zurückgejagt und der Wendehals von neuem beobachtet. Nach und nach beruhigt er sich, bleibt indessen noch längere Zeit an derselben Stelle, bis er sich endlich entschließt, wegzufliegen, und zwar in abwärts gehender Richtung bis beinahe zum Boden, dann in geradem Zuge mit raschem Flügelschlag und endlich in großem flachen Bogen einem andern Baume zu. Läßt er sich auf den Boden nieder, dann bewegt er sich plump hüpfend in Sprüngen.
Bei der Wahl der Nisthöhle ist der Wendehals auf ein enges Eingangsloch bedacht, durch welches sein Leib gerade noch hindurchgeht. Wir entdeckten an ihm eine Vorliebe für nicht allzu hoch gelegene Baumhöhlen. Sehr oft richtet sich ein Paar Wendehälse unten in der Nähe des Stammes in einem Astloch häuslich ein, während in den höher gelegenen Höhlen desselben Baumes Meisen, Rotschwänzchen, Feldsperlinge oder andere Höhlenbrüter nisten. In diesem Falle läßt der Wendehals, mit seiner Wohnung zufrieden, die Mitbewohner des Baumes unbehelligt. Anders aber, wenn er um eine häusliche Unterkunft verlegen ist und die ihm passenden Plätze bereits besetzt findet. Dann kann es vorkommen, daß er einfach ein fremdes Nest in Beschlag nimmt, ohne viel nach Recht und Billigkeit zu fragen.
Geräth solch ein Paar in Angst oder Schrecken, so stößt es vereinigt den Laut „Schächt“ aus; das Weibchen läßt bei hochgradiger Erregung auch ein Zischen vernehmen. Die Jungen, welche wie die Wiedehopfe im Koth der Nisthöhle aufwachsen, schwirren wie die Heuschrecken, wenn die Eltern mit Futter bei ihnen einkehren. Erwähnenswerth ist noch das besonders hingebende Brüten des Weibchens, welches sich durch das heftigste Klopfen nicht von dem Gelege scheuchen läßt. Aber wenn man es unmittelbar berührt oder aufs äußerste bedrängt, dann läßt es jenes eigenthümliche Zischen gegen den Störenfried vernehmen.
Die Nahrung des Wendehalses sind Kerbthiere, in überwiegender Menge Ameisen und deren Puppen. Deswegen trifft man ihn auch häufig bei den Ameisenhaufen an. Nach Art der Spechte, vermag er die Zunge sehr weit vorzustrecken, die durch ihre dünne, wurmartige Gestaltung und ihre feine Zuspitzung in alle Ritzen und Löcher einzudringen imstande ist. Ganz merkwürdig ist die Verwendung dieser Zunge beim Ameisenfang. Der Vogel steckt sie in den Ameisenhaufen; an ihrem klebrigen Überzug bleiben eine Anzahl der Thierchen haften – und blitzschnell fährt sie beladen in den Schlund zurück, um, der Beute ledig, alsbald zu neuem Fange ausgesandt zu werden. Der Muskelapparat arbeitet dabei so schnell, daß man an einem gefangenen Wendehals selbst mit Aufbietung der ganzen Sehkraft nicht deutlich unterscheiden kann, ob die Beute angespießt oder wie mit einer Leimruthe gefangen wird. Wir glauben indessen, daß das letztere anzunehmen ist. – Nachdem die Jungen mehrere Wochen noch unter Führung der Eltern herangewachsen sind, zerstreuen sich die Familienglieder, und so trifft man sie im Nachsommer, von der Mitte des Juli an, mehr denn vorher einzeln auf dem Boden, im Rasen, auf Gemüseländern, an Wegen und Rainen. Vom August an führt der Wendehals ein unstetes Leben, später, am Ende dieses Monats, sammeln sich kleine Gesellschaften, die zur Nachtzeit die Wanderung nach dem Süden, ins Land der Pharaonen oder des Mahdi, unternehmen.