Sage von Adelger zu Baiern

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Autor: Brüder Grimm
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Titel: Sage von Adelger zu Baiern
Untertitel:
aus: Deutsche Sagen, Band 2, S. 192-201
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Nicolai
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Erscheinungsort: Berlin
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[192]
491.
Sage von Adelger zu Baiern.
Cod. pal. 361 fol 39b. - 42c.<t/tt>

Vergl. Abele, selzame Gerichtshändel. Nürnb. 1705. Nro. 116.


Zur Zeit Kaisers Severus war in Baiern ein Herzog, Namens Adelger, der stand in großem Lobe, und wollte sich nicht vor den Römern demüthigen. Da es nun dem König zu Ohren kam, daß niemand im ganzen Reiche ihm die gebührliche Ehre weigerte, außer Herzog Adelger, so sandte er Boten nach Baiern und ließ ihn nach Rom entbieten. Adelger hatte nun einen getreuen Mann, den er in allen Dingen um Rath fragte; den rief er zu sich in sein Gemach, und sprach: ich bin ungemuth, denn die Römer haben nach mir gesendet und mein Herz stehet nicht dahin; sie sind ein böses Geschlecht, und werden mir Böses anthun; gern möchte ich dieser Fahrt entübrigt seyn, rathe mir dazu, du hast kluge Gedanken. Der alte Rathgebe antwortete: gerne rathe ich dir alles, was zu deinen Ehren stehet; willst du mir folgen, so besende deine Mannen und heiß sie sich kleiden [193] in das beste Gewand, das im Lande gefunden wird; fahr mit ihnen furchtlos nach Rom, und sey ihm alles Rechtes bereit. Denn du bist nicht stark genug, um wider das römische Reich zu fechten; verlangt der König aber über sein Recht hinaus, so kanns ihm übel ausschlagen.

Herzog Adelger berief seine Mannen und zog an des Königs Hof nach Rom, wo er übel empfangen wurde. Zornig sprach der König ihm entgegen: du hast mir viel Leides gethan, das sollst du heute mit deinem Leben gelten! „Dein Bote – antwortete Adelger – hat mich zu Recht und Urtheil hierher geleitet; was alle Römer sprechen, dem will ich mich unterwerfen, und hoffen auf deine Gnade.“ Von Gnade weiß ich nichts mehr – sagte der König – das Haupt soll man dir abschlagen, und dein Reich einen andern Herrn haben. .

Als die Römer den Zorn des Königs sahen, legten sie sich dazwischen und erlangten, daß dem Herzog Leib und Leben geschenkt wurde. Darauf pflogen sie Rath und schnitten ihm sein Gewand ab, daß es ihm nur zu den Knien reichte, und schnitten ihm das Haar vornen aus; damit gedachten sie den edeln Helden zu entehren.

Adelger aber ging hart ergrimmt in seine Herberge. Alle seine Mannen trauerten, doch der alte Rathgebe sprach: Herr, Gott erhalte dich! laß nur dein Trauern seyn und thu nach meinem Rath, so soll alles zu deinen Ehren ausgehen. – „Dein [194] Rath – sagte Adelger – hat mich hierher gebracht; magst du nun mit guten Sinnen meine Sache herstellen, so will ich dich desto werther halten; kann ich aber meine Ehre nicht wieder gewinnen, so komm ich nimmermehr heim nach Baierland.“ Der Alte sprach: Herr nun heiß mir thun, wie dir geschehen ist, und besende alle deine Mann, und leih und gib ihnen, daß sie sich allesammt bescheeren lassen; damit rette ich dir alle deine Ehre. Da forderte der Herzog jeden Mann sonders vor sich, und sagte: wer mir in dieser Noth beisteht, dem will ich leihen und geben; wer mich lieb hat, der lasse sich scheeren, wie mir geschehen ist. Ja – sprachen alle seine Leute – sie wären ihm treu bis in den Tod, und wollten alles erfüllen. Zur Stunde beschoren sich alle, die mit ihm ausgekommen waren, Haar und Gewand, daß es nur noch bis an die Knie reichte; die Helden waren lang gewachsen und herrlich geschaffen, tugendreich und lobesam, daß es jeden Wunder nahm, der sie ansah, so vermessenlich war ihre Gebärde.

Früh den andern Morgen ging Adelger mit allen seinen Mannen zu des Königs Hof. Als sie der König ansah, sagte er in halbem Zorn: rede, lieber Mann, wer hat dir diesen Rath gegeben? „Ich führte mit mir einen treuen Dienstmann – sprach Herzog Adelger – der mir schon viele Treue erwiesen, der ist es gewesen; auch ist unsrer Baiern Gewohnheit daheim: „was einem zu Leide geschieht, das müssen wir allesammt dulden“ so tragen wir uns nun [195] einer wie der andre, arm oder reich, und das ist unsre Sitte so.“ Der König von Rom sprach: gib mir jenen alten Dienstmann, ich will ihn an meinem Hofe halten, wenn du hinnen scheidest; damit sollst du alle meine Gnade gewinnen. – So ungern es auch der Herzog thäte, konnte er doch dieser Bitte nicht ausweichen, sondern nahm den treuen Rathgeben bei der Hand, und befahl ihn in die Gewalt des Königs. Darauf nahm er Urlaub und schied heim in sein Vaterland; voraus aber sandte er Boten, und befahl allen seinen Unterthanen, die Lehnrecht oder Rittersnamen haben wollten: daß sie sich das Haar vornen aus-, und das Gewand abschnitten, und wer es nicht thäte, daß er die rechte Hand verloren hätte. Als es nun auskam, daß sich die Baiern so beschoren, da beliebte der Gebrauch hernach allen in deutschen Landen. –

Es stund aber nicht lange an, so war die Freundschaft zwischen dem römischen König und dem Herzog wieder zergangen, und Adelgern ward von neuem entboten: nach Rom zu ziehen, bei Leib und Leben, der König wolle mit ihm Rede haben. Adelger, ungemuth über dieses Ansinnen, sandte heimlich einen Boten nach Wälschland zu seinem alten Dienstmann, den sollte er bei seinen Treuen mahnen: ihm des Königs Willen, weßhalb er ihn nach Hof rief, zu offenbaren, und zu rathen, ob er kommen oder bleiben sollte? Der alte Mann sprach aber zu Adelgers Boten: es ist nicht recht, daß du zu mir fährst; hiebevor, da ich [196] des Herzogen war, rieth ich ihm je das Beste; er gab mich dem König hin, daran warb er übel; denn verrieth ich nun das Reich, so thät ich als ein Treuloser. Doch will ich dem König am Hofe ein Beispiel erzählen, das magst du wohl in Acht behalten, und deinem Herrn hinterbringen; frommt es ihm, so steht es gut um seine Ehre.

Früh des andern Morgens, als der ganze Hof versammelt war, trat der Alte vor den König und bat sich aus, daß er ein Beispiel erzählen dürfte. Der König sagte, daß er ihn gerne hören würde, und der alte Rathgebe begann: Vor Zeiten, wie mir mein Vater erzählte, lebte hier ein Mann, der mit großem Fleiß seines Gartens wartete, und viel gute Kräuter und Würze darin zog. Dies wurde ein Hirsch gewahr, der schlich sich Nachts in den Garten, und zerfraß und verwüstete die Kräuter des Mannes, daß alles niederlag. Das trieb er manchen Tag lang, bis ihn der Gärtner erwischte und seinen Schaden rächen wollte. Doch war ihm der Hirsch zu schnell, der Mann schlug ihm blos das eine Ohr ab. Als der Hirsch dennoch nicht von dem Garten ließ, betrat ihn der Mann von neuem und schlug ihm halb den Schwanz ab; das trag dir, sagte er, zum Wahrzeichen! schmerzt’s dich, so kommst du nicht wieder. Bald aber heilten dem Hirsch die Wunden, er strich seine alten Schliche, und äßte dem Mann Kraut und Wurzeln ab, bis daß dieser den Garten listig mit Netzen umstellen ließ. Wie nun der Hirsch entfliehen wollte, [197] ward er gefangen; der Gärtner stieß ihm seinen Spieß in den Leib, und sagte: nun wird dir das Süße sauer, und du bezahlst mir theuer meine Kräuter. Darauf nahm er den Hirsch und zerwirkte ihn, wie es sich gehörte. Ein schlauer Fuchs lag still neben in einer Furche; als der Mann wegging, schlich der Fuchs hinzu und raubte das Herz vom Hirsch. Wie nun der Gärtner, vergnügt über seine Jagd, zurück kam und das Wild holen wollte, fand er kein Herz dabei, schlug die Hände zusammen, und erzählte zu Haus seiner Frau das große Wunder von dem Hirsch, den er erlegt habe, der groß und stark gewesen, aber kein Herz im Leibe gehabt. Das hätte ich zuvor sagen wollen, antwortete des Gärtners Weib; denn als der Hirsch Ohr und Schwanz verlor, hätte er ein Herz gehabt, so wär er nimmer in den Garten wieder gekommen. –

All diese kluge Rede war Adelgers Boten zu nichts nütze, denn er vernahm sie einfältig und kehrte mit Zorn gen Baierland. Als er den Herzogen fand, sprach er: „ich habe viel Arbeit erlitten und nichts damit erworben; was sollte ich da zu Rom thun? der alte Rathgebe entbietet dir nichts zurück, als ein Beispiel, das er dein König erzählte, das hieß er mich dir hinterbringen. Daß er ein übel Jahr möge haben!“

Als Adelger das Beispiel vernahm, berief er schnell seine Mannen. Dies Beispiel – sagte er – will ich euch, ihr Helden, wohl bescheiden. Die Römer [198] wollen mit Netzen meinen Leib umgarnen; wißt aber, daß sie mich zu Rom in ihrem Garten nimmer berücken sollen. Wäre aber, daß sie mich selbst in Baiern heimsuchen, so wird ihnen der Leib durchbohrt, wo ich anders ein Herz habe, und meine lieben Leute mir helfen wollen.

Da man nun am römischen Hof erfuhr, daß Adelger nicht nach Rom gehen wollte, sagte der König: so wolle er sehen, in welchem Lande der Herzog wohne. Das Heer wurde versammelt, und brach, dreißig Tausend wohl gewaffneter Knechte stark, schnell nach Baiern auf; erst zogen sie vor Bern, dann ritten sie durch Triental. Adelger mit tugendlichem Muthe sammelte all seine Leute, Freunde und Verwandten; bei dem Wasser, heißet Inn, stießen sie zusammen, der Herzog trat auf eine Anhöhe und redete zu ihnen: wohlan ihr Helde unverzagt! jetzt sollt ihr nicht vergessen, sondern leisten, was ihr mir gelobt habt. Man thut mir groß Unrecht. Zu Rom wurde ich gerichtet, und hielt meine Strafe aus, als mich der König schändete an Haar und Gewand; damit gewann ich Verzeihung. Nun sucht er mich ohne Schuld heim; läge der Mann Streite todt, so wäre die Noth gering. Aber sie werfen uns in den Kerker und quälen unsern Leib, höhnen unsre Weiber, tödten unsre Kinder, stiften Raub und Brand; nimmer mehr hinführo gewinnt Baiern die Tugend und Ehre, deren es unter mir gewohnt war; um so mehr, ihr Helden, wehret beides, Leib und Land. – Alle [199] reckten ihre Hände auf und schwuren: wer heute entrinne, solle nimmerdar auf baierscher Erde weder Eigen noch Lehen haben.

Gerold, den Markgrafen, sandte Adelger ab, daß er den Schwaben die Mark wehrete. Er focht mit ihnen einen starken Sturm, doch Gott machte ihn sieghaft; er fing Brenno, den Schwabenherzog, und hing ihn an einen Galgen auf.

Rudolf den Grafen, mit seinen beiden Brüdern, sandte Adelger gegen Böheim, dessen König zu Salre mit großer Macht lag und Baiern heerte. Rudolf nahm selbst die Fahne und griff ihn vermessen an. Er erschlug den König Osmig, und gewann allen Raub wieder. Zu Cambach wand er seine Fahne.

Wirent den Burggrafen, sandte Adelger gegen die Hunnen. Niemand kann sagen, wie viel der Hunnen in der Schlacht todt lagen; einen sommerlangen Tag wurden sie getrieben bis an ein Wasser, heißet Traun, da genasen sie kaum.

Herzog Adelger selbst leitete sein Heer gen Brixen an das Feld, da schlugen sie ihr Lager auf; das ersahen die Wartmänner der Römer, die richteten ihre Fahne auf und zogen den Baiern entgegen. Da fielen viele Degen, und brach mancher Eschenschaft! Volkwin stach den Fähnrich des Königs, daß ihm, der Spieß durch den Leib drang: diesen Zins – rief der vermessene Held – bringe deinem Herrn und sage ihm, als er meinen Herrn schändete an Haar und [200] Gewand, das ist jetzt dahin gekommen, daß ers ihm wohl vergelten mag. Volkwin zuckte die Fahne wieder auf, nahm das Roß mit den Sporn und durchbrach den Römern die Schaar. Von keiner Seite wollten sie weichen, und viel frommer Helden sank zu Boden; der Streit währte den sommerlangen Tag. Die grünen Fahnen der Römer wurden blutfärbig, ihre leichte Schaar troff von Blut. Da mochte man kühne Jünglinge schwer verhauen sehen, Mann fiel auf Mann, das Blut rann über eine Meile. Da mochte man hören schreien nichts als Ach und Weh! Die kühnen Helde schlugen einander, sie wollten nicht von der Wahlstätte kehren, weder wegen des Tods, noch wegen irgend einer Noth; sie wollten ihre Herrn nicht verlassen, sondern sie mit Ehren dannen bringen; das ward ihr aller Ende.

Der Tag begann sich zu neigen, da wankten die Römer. Volkwin der Fähnrich, dies gewahrend, kehrte seine Fahne wider den König der Römer; auf ihn drangen die muthigen Baiern mit ihren scharfen Schwerten, und sangen das Kriegslied. Da vermochten die Wälschen weder zu fliehen noch zu fechten. Severus sah, daß die Seinen erschlagen oder verwundet lagen, und die Wahlstätte nicht behaupten konnten. Das Schwert warf er aus der Hand und rief: Rom, dich hat Baiern in Schmach gebracht, nun acht ich mein Leben nicht länger! Da erschlug Volkwin den König; als der König erschlagen war, steckte Herzog Adelger seinen Schaft in die Erde neben dem [201] Hasel-Brunnen: Dies Land hab ich gewonnen den Baiern zu Ehre; diese Mark diene ihnen immerdar!