Schloß Ambras
Im Söller der alten Reichsstadt Augsburg sitzt ein dunkeläugiges Mädchen. Die Maiensonne streift ihr die Stirn; sie hat das kleine silberbeschlagene Buch bei Seite gelegt, in welchem sie bedächtig gelesen, und wie eine leise Melodie klingt ihr das Lied noch im Herzen nach:
„Sanges ist der Wald so voll,
Daz thut den kleinen Vogelin wohl.“
Da erschallt plötzlich Lärm im Hofe des gewaltigen Welserhauses; man hört Hufschlag und Rüdenlaut, und neugierig lugt die Kleine hinunter. Ein langer Waarenzug war aus Wälschland gekommen, auf der alten Bergstraße, die über Innsbruck und Mittenwald gen Augsburg führt, und nun drängten sich die müden Saumthiere im Hofe, bis man ihnen die schwere Bürde vom Rücken nahm; die Führer aber, welche sie durch’s Gebirg geleitet, trugen die Spielhahnfeder am Hut und jauchzten übermüthig dem Hausvogt zu, der ihnen einen frischen Labetrunk entgegenbrachte. Wie glänzten ihre braunen wetterfesten Züge, wie manche Mär ward da berichtet von der steilen Fahrt! Hier klang ein Gruß und dort ein Fluch – und überall Fröhlichkeit.
Das dunkeläugige Mägdlein aber sah ihnen zu, und ein erster Zug von Wandersehnsucht hob ihr das junge Herz. Wie muß es herrlich sein in der geheimnißvollen großen Welt der Berge! O, wenn sie nur einmal die blauen Gipfel sähe, wo die Karawanen ihres Vaters vorüberziehen! Da ist freier Weg und freies Leben; da starrt meilenweit das trotzige Gestein in den Felsenkahren, und wie eng sind hier die steinernen Mauern! Der alte Perlachthurm, die grauen Wälle, das finstere Hallthor!
„Philippine!“ rief es von drinnen, und die liebliche Gestalt verschwand vom Fenster. –
Jahrzehnte sind seitdem vergangen; in dem herrlichsten Schlosse von Tirol, auf das blaue Bergesgipfel herniederschauen, sitzt eine zauberschöne Frau am Söller, und lachende Kindlein legen ihr die Hand auf’s Knie. Das ist Philippine Welser, Erzherzog Ferdinand’s Ehegemahl; der Bergestraum von ehedem ist zur Wahrheit geworden, und mehr noch wurde wahr als jener Traum.
Nun sind seitdem abermals Jahrhunderte vergangen, aber der alte Zauber des Namens Ambras (auch Amras) blieb bestehen. Es ist noch jetzt ein Juwel der Natur, eine Schatzkammer kunstvoller Schönheit und eine Heimath holder Erinnerung; den Grundton dieser Erinnerungen aber bildet der Name der lieblichen Welserin.
Die Lage des Schlosses ist entzückend schön, weithin herrschend, wie es ja im Zwecke jener alten Castelle liegt; allein noch mächtiger als diese Quadern und Zinnen schaut uns die Landschaft selber an. Langgezogen dehnt sich die riesige Bergeskette hin, zu deren Füßen die Stadt liegt, und bis in den Sommer hinein glänzt der Schnee noch auf ihren Höhen; drunten rauscht der Inn durch die Brücken; nicht weit davon liegt der kampfberühmte Berg Isel, und von da geht es auf dem uralten Brennerpfade nach dem Süden. Oft kommt sein lockender Hauch mit dem Föhn herüber; wir stehen gleichsam vor dem Thore, das die Wege zwischen Deutschland und Wälschland scheidet. Und das alles ist jetzt vom ersten vollen Grün durchwoben; aus den dunklen Wäldermassen glänzen die lichtfrischen Buchen, auf den hohen Wiesen wogen die Glockenblumen – alles summt und webt und flimmert. Darüber aber liegt jenes Himmelsblau, das die Seele dehnt – so bin ich in Junitagen durch die Pforten von Ambras gezogen, so steht es noch heute vor meiner Seele.
Wohl reicht es in graue Zeit zurück, daß die ersten Mauern an dieser Stelle erstanden; schon die eiserne Hand der Cäsaren hat hier gebaut, und jetzt noch künden die römischen Meilensteine im Schloßhofe von jenen Tagen. Dann kamen die deutschen Dynastengeschlechter (unter ihnen die Grafen von Andechs), bis die Burg allmählich an das Erzhaus Oesterreich gelangte. Nun erst begannen die Tage ihres Glanzes; räumlich und künstlerisch wurde bald das Schloß erweitert, um dem Statthalter von Tirol und seiner schönen Gemahlin Obdach zu bieten. Das aber war Ferdinand und Philippine Welser.
Die Sammlungen, welche der Erzherzog besaß, gewannen schon unter den Zeitgenossen einen hohen Ruhm; denn es war ja noch jene Glanzepoche, wo jeder Fürst auf seine „Kunstkammer“ hielt und wo das kleinste Geräth im Hause einen Anhauch künstlerischer Form besaß.
Um für solche Schätze Raum zu schaffen, wurden mannigfache Neubauten nöthig, aber auch für den stattlichen Hofhalt und die zahlreichen Gäste, die er aus allen Landen versammelte, ward es manchmal zu enge, und so wuchs das Schloß allmählich in jene gewaltigen Formen aus, welche wir heute an demselben gewahren. Durch die Verbindung mit den großen italienischen Fürstengeschlechtern, den Gonzagas, den Medicis und Anderen, kam so manches neue Juwel zu den alten Beständen, und die Kenner aller Länder bewunderten und beschrieben die Sammlung, wenn sie durch Innsbruck den Weg nahmen.
Es ist bekannt, daß in den napoleonischen Kriegen, als Tirol an Baiern kam, die Hauptmasse der Ambraser Sammlung nach Wien gebracht wurde, wo sie noch jetzt unter diesem Namen das Belvedere schmückt, aber selbst die Reste, die erst kürzlich systematisch geordnet und ergänzt wurden, bieten noch ein prächtiges Bild. Um die Eintheilung und Verzeichnung derselben haben sich die Herren Ilg und Böheim großes Verdienst erworben, auf deren treffliches Büchlein wir alle Jene verweisen, die sich für das Einzelne interessiren.
Zwei Hauptmassen sind es, in die der imposante Bau sich gliedert, und die ihm schon vor Jahrhunderten sein Gepräge gaben: das ist das Unterschloß und das Hochschloß. In dem ersteren befindet sich die Waffensammlung, während in den oberen Räumen die Gemälde und die kunstgewerblichen Schätze verwahrt sind, aber wo wir auch weilen mögen, überall ruhen unsere Blicke wie gefesselt auf diesen Lebensspuren vergangener Kraft.
Frühlingsstille liegt das Schloß jetzt da, doch welch schallendes Treiben herrschte damals in den weiten Sälen, in dem steinernen Hofe, in Park und Garten! Da ragten gewaltige Basteien in’s Land hinaus, und schlanke Edelknaben eilten über die Stufen oder lehnten lauschend am Pfeiler; sie hatten ihr eigenes „Losament“, wie auch ein eigenes „Ballhaus“ bestand; im Thiergarten tummelte sich das Wild, und neckendes Spielwerk war überall in den quelldurchrauschten Anlagen verborgen.
Mitten im Felsen aber befand sich eine gewaltige Höhle, wo die zechenden Ritter saßen und schwere Humpen schwangen; denn das Ungestüm der Zeit war auch mit dem Becher nicht schonsam. Da gab es harte Proben, die der „Novize“ hier zu [864] bestehen hatte, bis man ihn als Meister betrachtete und seinen Namen in das „Trinkbuch“ aufnahm, das in Ambras sonderlichen Ruhm genoß. Und war man der Gelage müde, dann ging’s hinaus zur Jagd; hoch zu Roß zog man empor an den blauen Achensee, der einsam zwischen den Bergen lag und wo den Herren von Tirol Gejaid und Fischfang zu eigen war. Dort hatte noch die Meute schrankenloses Spiel; da stiegen die Falken noch lustiger zur Höhe, und auf den Wogen schaukelten die schlanken Gondeln, welche Ferdinand nach venetianischem Muster hatte bauen lassen. Lebensarbeit und Lebensgenuß griffen damals noch näher in einander, und Freude zu bekunden, war auch eine That.
So führt uns unser Rundgang in den Waffensaal – wie glänzt da an allen Wänden Harnisch und Schwert! Aber es ist nicht blos Stahl und Eisen: es ist die Kampflust vergangener Zeiten, die uns entgegenblitzt und die noch haftet an den verwitterten Standarten. Da ist das ganze Rüstzeug jauchzender Turniere, wie es Mann und Roß ehedem getragen, Tartsche, hohe Sättel, Brechschild und Dilgen; da steht die ganze lärmende Landsknechtzeit vor unseren Blicken. Das sind die alten Zweihänder mit ihren geflammten Klingen; daneben hängt die geschwärzte Eisenbrust, und dazwischen klingen unsichtbar die Erinnerungen an Pavia, an die Schanzen von Straßburg und Metz.
Damals, als Schloß Ambras am höchsten blühte, waren jene Tage noch eine Wirklichkeit; da gab es in der That noch jenes Leben, das jede Stunde zwischen dem Taumelkelche und dem Todesstoße stand. Da war auch noch der Frundsberg lebendig, der kühne Führer der Landsknechte, die großen Städte des Reiches blühten, und manchen, der von hinnen zog, sahen lichte Augen auf Nimmerwiederkehr scheiden. Er aber wandte sich wohl sehnend nach dem Erker um; es ging gen Wälschland hin, an Ambras vorüber, und wenn man Abends Rast hielt vor den Lagerfeuern auf der breiten Brennerstraße in Matrei oder Gossensaß, dann konnte wohl mancher denken und singen:
„Es mißt schier gute zwei Ellen,
Mein altes flämisches Schwert;
Hab’ manchen schlimmen Gesellen
Damit zum Himmel bekehrt.
Ich mag ihm mein Leben schulden
Wohl zehenmal und mehr –
Doch wider deine Hulden
Hilft keine Waffe noch Wehr.
Da ist jeder Harnisch offen –
Da schützt kein eisernes Kleid,
Wen du in’s Herz getroffen,
Ist wund für alle Zeit.“
So weht uns eine gewaltige Geschichtsperiode hier an; aus aller Herren Ländern sind diese Prachtstücke zusammengetragen, wie ja auch das Leben jener Zeit einen starken internationalen Zug hatte, wenn wir das moderne Wort für vergangene Verhältnisse gebrauchen dürfen. Waren es doch die Tage, wo die Sonne in den Reichen Karl des Fünften nicht unterging; aus Spanien, Frankreich und Italien stammen diese Waffen, die der Neffe Karl’s, Philippinens Gatte, hier aufgehäuft; auch Wien und Nürnberg weisen ihre Beschauzeichen hin, aber nicht nur des Meisters Hand hat sie geschmiedet, sondern auch des Kriegers Hand hat sie geschwungen, und dieser Odem der Wirklichkeit ist gewissermaßen der letzte und geheime Reiz, den solches alterthümliche Geräthe übt. Und doch wie naiv war jene Zeit bei all ihrer stürmischen Kraft! Auf der Decke des Saales, wo die Sternbilder gemalt sind, finden wir auch den „Fuhrmann“, und der ist dargestellt als fröhlicher Tiroler, im echtesten Nationalcostüm mit der Hahnenfeder auf dem Hut und der langen Peitsche in der Hand. So steht er mitten unter den mythologischen Gestalten, als ob er jeden Augenblick beginnen wollte, das lustige Lied vom „Fuhrmannsbua“ zu pfeifen.
Nicht minder glänzend und kostbar ist die Sammlung der Schießwaffen, die uns in alle Gebiete der Kriegsgeschichte führen, in die Zeiten der „Türkennoth“ und des Prinzen Eugen bis auf die napoleonischen Schlachten und die Sturmzeit von 1848. Von der Gallerie aber winken die Schützenfahnen der verschiedenen Kronländer herab, ein Bild gewaltiger Wehrhaftigkeit – während draußen im Grün die Finken schlagen und die Bienen um den duftenden Flieder summen.
Diejenige Räumlichkeit indessen, welche eigentlich den Festen, den größeren Zusammenkünften, kurzum der Repräsentation in Ambras gewidmet war, befand sich nicht im Schlosse selbst, sondern es ist dies ein langgestrecktes Parterregebäude, welches den großen „Spanischen Saal“ enthält. Er galt als ein Meisterwerk der Renaissance, doch haben leider die Jahrhunderte und die ungünstige Lage dicht am Felsen manches von der alten Herrlichkeit zerstört. Am meisten litt der Saal in jenen Tagen, wo er zeitweilig als Caserne diente; da malten die Soldaten unbekümmert ihre Namen und andere Spuren ihres Daseins an die Wände, welche einst die Hand der Niederländer und der Italiener geschmückt hatte. Es sind die Bildnisse der fürstlichen Herren von Tirol und Motive aus der römischen Geschichte; auch ihnen kam die Sorgfalt zu statten, mit der die Restauration des Gebäudes in den jüngsten Jahren vollzogen ward.
Dann gehen wir in die eigentlichen Wohnräume, in’s „Hochschloß“. Da stehen noch jene großen geschnitzten Truhen, die einst mit lieben Habseligkeiten gefüllt waren; überall sind prächtige Schränke in die Wand gelassen; dort lugt man aus einem traulichen Erker in’s Blaue; hier steht das breite kunstvolle Bett und daneben die kleine Wiege. In der Schnitzarbeit gewahren wir die Zirbelnuß, das alte Wahrzeichen von Augsburg – die Erinnerung an die Heimath. Schreibpult und Laute aber erzählen uns auch von manchem schweren einsamen Tage. Und noch stimmungsvoller und geweihter sieht sich das Oratorium und die kleine Capelle an, die unter dem Schutze des heiligen Nicolaus steht; da mag wohl mancher stille Seufzer aus gepreßter Brust erklungen sein; denn auch hier galt die alte Wahrheit, daß jedes Glück seinen Schatten hat, wie hell es auch nach außen strahle.
Eine tiefe, unwandelbare Liebe verband wohl das junge Paar, aber welche Stürme hatte es gekostet, bis diese Liebe an’s Licht treten durfte! In tiefster Stille hatte im Frühlinge 1548 die Vermählung des Erzherzogs mit Philippine stattgefunden: neun Jahre weilte sie getrennt von ihrem Gatten in Böhmen, und die Kinder der Beiden wurden als Findlinge im Schloßhofe niedergelegt, wo die junge Mutter wohnte. Obwohl die Trauung des Paares im Jahre 1557 durch den Beichtvater Ferdinand’s wiederholt ward, flammte der Kaiser doch im wildesten Zorne auf, als er endlich das Geschehene erfuhr; kniefällig überreichte ihm die junge Frau, als Pilgerin verkleidet, eine Bittschrift, in der sie um Erbarmen für ihre Liebe bat.
Aber selbst dann noch, als ihnen der Kaiser verzieh, forderte er die strengste Geheimhaltung ihrer Ehe, und das Volk wußte nicht, daß die Gute, deren Walten überall gesegnet wurde, wirklich die Frau des Fürsten war, an dessen Seite sie stand. Wie viel Herzeleid mochte das der keuschen, stolzen Patriciertochter gekostet haben!
Erst spät kam auch für sie die Erlösung, als im Jahr 1576 der Papst die Gültigkeit der Ehe erklärte; nun war ihr Ehre und Friede wieder gegeben, doch nur kurze Zeit währte dieses Glück. Am 14. April 1580 schloß sie zu Ambras die Augen: „Diva Philippina“ stand auf den Denkmünzen, welche der Erzherzog zu ihrer Erinnerung prägen ließ, das Volk aber, das in ihrem Namen noch immer einen geheimnißvollen Zauber sah, munkelte wohl, die schöne Fürstin sei eines gewaltsamen Todes verstorben; man habe ihr im Bade die Adern geöffnet.
Obgleich dieser Mythus jeder Begründung entbehrt, gehen wir doch mit einem leisen Gefühl der Wehmuth von hinnen aus diesen Mauern, wo soviel Herzensglück und Herzeleid in einander webt. Tief und frei athmen wir auf in der Sonne, wenn wir über den steilen Wall hinunterlugen in’s Thal und dann die Fußsteige betreten, welche rings das Schloß umgeben. Am herrlichsten aber von all den lauschigen Winkeln ist die Stätte, die den seltsamen Namen trägt „der Tummelplatz“ (vergl. Jahrg. 1877. S. 479 u. 481). Das ist ein zauberhaftes Idyll in grüner Einsamkeit.
Ein schmaler Hohlweg führt hinauf; doch plötzlich öffnet sich im Walde eine Lichtung. Der Boden ist mit kurzem Grase bewachsen; in den zerstreuten Tannen säuselt der Wind, und regellos neben einander stehen kleine verwitterte Kreuze. Sie sind mit Blumen umwunden; an den alten Stämmen hängt hier und dort ein Gottesbild; auf den morschen Bänken kniet ein murmelndes Mütterlein – wohin sind wir gerathen?
Es sicht aus wie ein Friedhof im Walde, und doch schmettert die Drossel im Wipfel so froh; die Zweige blühen, und die Abendsonne funkelt, daß uns heiße Lebenswonne durch die Brust wogt.
Wir stehen in einem jener Erdenwinkel, wo sich das ewige Geheimniß von Werden und Vergehen in Waldesrauschen löst,
[865][866] wo der Gegensatz des kurzen Seins und des langen Nichtseins leise austönt, wo das Herz sich selber findet im Gefühle einer unermeßlichen Gemeinschaft. Unbewußt nehmen wir den Hut vom Haupte, obwohl der freie Himmel über uns liegt – eine geheime Andacht erfaßt uns. Nicht Einer von all den Menschen, deren Erinnerung hier bewahrt wird, ist uns jemals begegnet, und dennoch theilen wir die tausend Träume, Hoffnungen und Schmerzen, die niedergelegt sind in dieser Waldeinsamkeit.
Schon in uralter Zeit galt bekanntlich in den Bergen die Sitte, das Gedächtniß der Todten durch sogenannte Rê-bretter zu ehren, indem man an den Bäumen jene langen schmalen Bretter befestigte, auf welchen die Leiche zu Grabe getragen worden war. Rê bedeutet nämlich den Leichnam, wie es schon im Parcival heißt: „Gebalsamt ward sein junger Re“; die Inschrift auf solchen Denkmälern aber erbat in der Regel nur ein kurzes Gebet für den Verstorbenen. Noch heute hängt das Volk an diesem Gebrauche; aus ihm ist auch die schöne Sitte der Martertafeln hervorgewachen, und dieser Gedanke ist es, der die Stätte geschaffen hat, an welcher wir weilen.
Es liegen keine Todten hier, aber jedes dieser Kreuze, die ganze Ruhe des Ortes ist dem Gedächtniß der Todten geweiht, und ein Stück Weltgeschichte schläft in diesem Bergesfrieden. Der Eine, dem dieses Kreuz gewidmet ist, fiel in den wilden Tagen von Custozza; von seinen grünen Almen war er hinabgestiegen in die heiße lombardische Ebene; der Andere war gefallen an dem Bluttage von Königsgrätz, und den Dritten hatte ein Stein zerschmettert in dem großen Tirolerkriege von 1809. Wie viel Menschenschicksal, wie viel Sturm ist aufgehäuft in dem stillen Waldeswinkel!
Am grünen Baume hängt ein Weihbrunnkessel; in der Nähe rauscht ein Quell; die kleine Capelle, die am Bergrand steht, ist mit Votivbildern überfüllt.
Ich aber grüßte sie Alle, deren Namen hier standen , mit einem tiefen Herzensgruße, als ich langsamen Schrittes zur Stadt herniederstieg. Die frommen Glocken läuteten; man hörte das Rauschen des Inn, wie er mit jugendlichem Ungestüm und grünen Wellen dahinschoß; von der Schießstatt knatterten die Büchsen, und droben ragten im Abendgolde stumm und groß die Zinnen von Ambras. – Diva Philippina!