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Schmalkalden (Meyer’s Universum)

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CCCIV. Mahadeo-Tempel in Hindostan Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band (1840) von Joseph Meyer
CCCV. Schmalkalden
CCCVI. Sidney in Australien
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SCHMALKALDEN

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CCCV. Schmalkalden.




Das war eine schöne Wallfahrt, gestern Abend[1]. Früh war ich von Gotha weggegangen, um bei guter Zeit in Schmalkalden zu seyn. Der Morgen war so hell, auf jedem Halme schillerte und schaukelte ein Thautröpfchen und wie ein Meer im Sonnenscheine prangte die Saat. Vor mir lag die lange Kette des Waldgebirgs, das ich zu übersteigen hatte; nur seine Gipfel glänzten im rosigen Lichte, alles Uebrige hüllte sich abenteuerlich noch in des Nebels mystisches Grau. Schwarzbraun und düster streckte der Bergkamm seine langen Thäler aus; es zog mich sehnsüchtig zu ihnen hin, und ich enteilte den lichten Fluren mit pochendem Herzen. Doch ehe ich noch den Georgenthaler Waldgrund erreicht hatte, blickte die höhere Sonne schon siegreich in sein Heiligthum. Ueberall flatterte freundliches Grün durch den Wald, und leichtfertig spielten die jungen Birken mit ihren Schatten. Die freien Sänger des Waldes musicirten in vollem Chor, und von dem schwellenden Laubgewölbe fielen Thautropfen – Thränen des Dankes der beglückten Natur.

An einem hellen Forellenbach und an mehren Schneidemühlen hin kam ich nach Tambach, einem freundlichen, wohlhabenden Flecken, voll kräftiger, betriebsamer Menschen. Gleich hinter diesem Orte geht das Steigen an, und ununterbrochen fort, bis auf den 2200 Fuß hoben Nacken des Gebirgs. Es war schwül geworden und ich war stark gegangen. Vor dem wirthlichen Gasthofe standen Bank und Tafel. Ich ruhte aus bei frischer Waldbutter, kräftigem Brode und einem Labetrunk aus dem Brunnen. Gestärkt wanderte ich dann durch herrlichen Hochwald bergan. Es war heiß. Die gefiederten Sänger schwiegen; kein Blatt bewegte sich; alles bebte vor Gluth. Ich suchte die dichtesten, schattigten Pfade auf und mochte so eine Viertelstunde fortgegangen seyn, als mich auf einmal ein ferner Donnerschlag erschreckte. Besorgt, von einem Gewitter überrascht zu werden, eilte ich der nahen Landstraße zu, wo ich eine freiere Umsicht erwarten durfte. Langsam wogte kohlschwarzes Wolkengebirg in der ganzen Breite des Horizonts über die Thüringer Ebene daher, von Nord-Ost nach Süd-West, in der Richtung meines Wegs. Als ich so stand, unentschlossen, ob ich weiter gehen, oder umkehren sollte, rasselten die Wagen einiger zurückeilenden Holzbauern an mir vorüber. Kreischend flogen die größern Vögel des Waldes aus der Ebene herauf, ihre Schlupfwinkel zu suchen, und die kleinern flatterten ängstlich umher, und verkrochen sich unter dem dichtesten Laube. Alles [71] suchte Schutz. Ein Paar Wanderer vor mir waren auch schon umgekehrt, und instinktmäßig folgte ich nach. Es war hohe Zeit; denn noch ehe ich ein Obdach erreichte, fielen schwere Tropfen, und kaum in Sicherheit, so flammten und rollten Blitz und Donner in furchtbarem Wettkampfe senkrecht über mir, und das furchtbarste Gewitter goß seinen Reichthum wie Wolkenbruchsfluth auf die lechzende Erde herab.

Schnell und gnädig war das Wolkenheer über das Thal gebraust; aber von dem hohen Gebirgskamm elektrisch angezogen und festgehalten, dröhnte der Donner noch Stundenlang in den Thälern fort, und der Regen wollte nicht aufhören. Als es sich, nach langem Warten, wieder hellte, war es später Nachmittag. Entschlossen jedoch Schmalkalden noch zu erreichen, griff ich zum Stabe. Nie werde ich die Wanderung vergessen! Alle Herrlichkeit des Morgens schien zu verschwinden gegen die Ueberschwenglichkeit des Abends. Jedes Blatt, jeder Halm war größer geworden, der ganze Wald schien gewachsen; mir war es, als hörte ich Millionen Knospen aufbrechen, als dränge das junge Grün gewaltsam hervor, als streckten die Blätter sich gegen einander, Gespielen suchend, wie die Kinder, oder verlangend, wie sehnsüchtig Liebende. Balsamisch dufteten die Birken und die Waldblumen aus weit geöffneten Kelchen. Die Harzknoten der Kiefern und Tannen flossen über, der Boden selber hauchte Wohlgerüche. aus, und sein bläulicher Dampf stieg wie Rauchopfer zum Himmel auf. Die ganze Natur feierte, und ich nahm Theil an der allgemeinen Andacht.

Darüber war mir die Zeit entfallen, und schon tief im West sendete die Sonne goldene Strahlen aus, als ich die Höhe erreichte. Noch 2 Stunden Wegs hatte ich vor mir, durch tiefe, dunkle Waldschlucht. Aber so sehr mich’s auch zur Eile trieb, konnte ich mich doch nicht von der Höhe trennen, ohne ihrer Aussicht mit vollem Genusse mich zu freuen. Ich setzte mich auf einen Felsblock und schaute umher. Der Blick schweift von dieser Höhe über einen großen Theil der innern Gebirgswelt und das ganze Schmalkaldener Land hin. Rechts ragt, wie ein König, der Inselsberg mit seinem Hospiz; dicht dabei der finstere Steinberg; näher die Hohewart mit ihrem Felsgipfel, gerade im Angesicht der Hühnberg mit dem starren Steinhaupt und die hohe Leite; links der Sperrhügel, der Roßkopf, der Greifenberg und der sagenreiche Hermannsberg. Zwischen vorliegenden Bergkuppen hin blickt man in einen tiefen Thalkessel, und ein gutes Auge erkennt deutlich die Thürme der Schmalkaldener Hauptkirche und die hohe Wilhelmsburg. Noch weiter hin öffnet sich die Aussicht auf’s Werrathal, und die lange blaue Kette der Rhön macht in der Ferne den Rahmen.

Wenige Pässe des Gebirgs haben eine schönere Aussicht, und der Sage nach soll auf dem nämlichen Stein Luther geruht und sich an ihr ergötzt haben, als er zum großen Fürstentage nach Schmalkalden zog. –

Diese Erinnerung rief den Heros des Jahrtausends vor meine Seele. Er kam mir vor wie ein Riesenvulkan in der Geisterwelt, der sie bewegt fort und fort, daß sie nicht mehr zur Ruhe gelangen kann. Ich stellte [72] die großen Menschen der vergangenen 3 Jahrhunderte neben ihn, die Könige und Feldherren und die Korpyhäen des Wissens: – aber ich konnte keinen Punkt der Vergleichung finden.

Geschlechter und Nationen vergehen; ganze Geschlechter und Nationen leben ohne sichtbaren Einfluß auf die Entwickelung der Menschheit; Luther kommt, und gleichsam im Triumphe führt er sie von Staffel zu Staffel im endlosen Vorwärtsstreben zur Vollkommenheit. Wohl, ich gebe es zu, sind Pausen gewesen, oder Perioden, wo der Fortschritt weniger bemerklich war; wenn aber Leute, die sich Luther’s Jünger nennen, statt den vom Meister gewiesenen geraden Weg fortzuwandeln, Irrpfade einschlagen; wenn, statt über sich zu sehen in das Blau des Himmels, sie ängstlich zur Erde blicken und, statt an der Hand der Freiheit und des Lichts fortzuwandeln, sie im Finstern tappen an der Hand des quälenden Zweifels, so ist’s nicht des Meisters Schuld. Luther kann nicht dafür, das, nachdem er Christus göttliches Werk von dem Schmutze gereinigt hat, worin Aberglaube und Arglist es unkenntlich hüllten, Thoren nun die Vernunft selbst als goldenes Kalb auf den Altar setzen, gleichsam über ihren Gott und über ihren Glauben. Solche Narrheit, ein solches Erheben der Magd über die Herrin, wollte Luther nicht. Seelig sollten die Menschen leben im lichten Gottesglauben, und erheitern und erwärmen daran sollten sich die Brüder, damit Jeder fröhlich hinblicken könnte auf das kahle Stoppelfeld der Zeit, bis es neu aufgrünt und das Räthsel eines endlosen Lebens für immer aufhört ein Räthsel zu seyn.


Der Nesselhof war bald erreicht, und dem brausenden, silberhellen Bach entlang bald auch Flohe. Von da bildet das Ufer des Bachs und weiterhin das der Schmalkalde eine fast ununterbrochene Kette von Weilern, Schleifmühlen, Hütten- und Hammerwerken. Die Blauöfen flammten, die Zain- und Stahlhämmer pochten und um die lodernden Essen drängten sich schwarze rußige Gestalten in malerischen Gruppen; und je näher der Stadt, je mehr häuften sich auch die Zeichen einer Betriebsamkeit, von welcher Schmalkalden seit undenklicher Zeit der Mittelpunkt ist. Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts dienten den Eisenfabriken dieser Stadt und ihrer Umgebung 7 Hoch- und Blauöfen, 27 Eisen- und Stahlhämmer, 11 Rohr- und Drathhämmer und 25 Schleifmühlen. Den größten Theil dieser Werke treibt die Schmalkalde, welche, vom Hochrücken des Gebirgs komment, sich in kleinen, oft malerischen Wasserfällen dem weiten Bergkessel zustürzt, in welchem sich Schmalkalden selbst mit seiner alten Burg gar stattlich ausbreitet.

Uralt ist der Ort und er kommt schon in den Urkunden des 9. Jahrhunderts als blühend vor. Er ist die größte nicht nur, sondern auch die volkreichste Stadt des ganzen Thüringer Waldes; denn er zählt über 1200, meistens hölzerne Häuser und an 7000 Einwohner. Die innere, eigentliche Stadt ist mit einer doppelten Mauer [73] umgeben, unregelmäßig gebaut, und nimmt sich mit ihren alterthümlichen Gebäuden eben nicht schön aus. Vor jedem der drei Thore ist eine Vorstadt, und zumal ist die von Flohe her, welche ich zuerst betrat, groß und von seltsamem Ansehen. Sie besteht aus einer einzigen, ½ Viertelstunde langen, sehr breiten, in der Mitte von dem spiegelhellen, rauschenden Fluß durchströmten Straße, die zu beiden Seiten mit gleichförmig gebauten, hohen, hölzernen Häusern eingefaßt ist, und von denen jedes in seinem Erdgeschosse eine Schmiede hat, die sich durch einen kleinen, gewöhnlich neben oder über der Thüre horizontal ausgehenden Rauchfang kenntlich macht. Schon von weitem hört man ein unaufhörliches Pochen und Hämmern, und in der Straße selbst wird es betäubend. Fast alle Menschen, denen man begegnet, sind von Kohlen und Ruß geschwärzt; denn fast die ganze Bevölkerung nimmt unmittelbar Theil am Hauptgewerbe. Kommt man aber an Sonn- und Festtagen her, so wird man keine Spur von Schmutz finden; kein Hammer regt sich, auf den frisch getünchten Bänken sitzen die reinlich gekleideten Aeltern, umschwärmt von einem Haufen eben so reinlich angezogener, bausbäckiger Kinder, und in den Häusern selbst ist Alles, vom Boden bis zur Schwelle herab, blank gescheuert; der Kohlenstaub ist verschwunden, der die Woche über alles bedeckt hat. Der Reinlichkeitssinn der Schmalkaldner geht so weit, daß Viele jeden Sonnabend Nachmittag den untern Theil ihrer Häuser mit Kalk frisch anstreichen. Leider ist seit einer Reihe von Jahren durch die Zeitverhältnisse und durch den Mangel an Fortschritt in der Vervollkommnung ihrer Fabrikate, dem Gewerbe der Stadt großer Eintrag geschehen, und Verarmung und Nahrungslosigkeit nehmen in einem furchtbaren Grade zu. Unglaublich ist’s, für welchen geringen Lohn die meisten Eisenarbeiten hier gefertigt werden, ein Lohn, der bei dem äußersten Fleiße kaum hinreicht, das Leben zu fristen.

Die hiesigen Eisenfabrikate begreifen fast alle Gegenstände des täglichen Bedürfnisses, und die meisten werden von eigenen Meistern gefertigt. Vor wenigen Jahren zählte man hier über 100 Ahlen- und Zweckenschmiede, 60 Bohr- und Zeugschmiede, 40 Messer- und 30 Kettenschmiede, 10 Lichtscheermacher, über 100 Huf- und Nagelschmiede u. s. w. Ein weiterer, sehr nachtheiliger und beunruhigender Umstand für die hiesigen Gewerbe ist, daß die Waldungen der Gegend den unermeßlichen Bedarf an Kohlen schon lange nicht mehr zu liefern im Stande sind, und dieses unentbehrliche Material größtentheils aus dem Auslande, bis auf 20 Stunden Entfernung, mit schweren Kosten und zu alljährlich immer höher steigenden Preisen beigefahren werden muß. Die Auffindung bauwürdiger Steinkohlenlager würde eine große Wohlthat, nicht nur für die Stadt, sondern für die ganze Herrschaft und auch das benachbarte, gleichartige Gewerbe treibende Meininger Gebiet seyn, und eine fleißige Bevölkerung von mindestens 20,000 Seelen nicht blos vor allmählicher gänzlicher Verarmung und Nahrungslosigkeit schützen, sondern auch die Begründung allgemeinen Wohlstandes möglich machen durch eine bessere und schwunghaftere Benutzung der Schätze von den trefflichsten Eisen- und von Kupfererzen, womit diese Gegend des Thüringer Gebirgs mehr als irgend eine [74] andere gesegnet ist. Bei der Wahrscheinlichkeit, daß bauwürdige Steinkohlenflötze in der um Broterode, Flohe, Seeligenthal etc. etc. mächtig auftretenden Formation des ältern Sandsteins vorhanden sind, ist es kaum zu begreifen, daß man von Seiten der hessischen Regierung nicht schon längst Versuche gemacht hat, um zu dem Mittel zu gelangen, einem Nothstande abzuhelfen, welcher die größte Besorgniß erregt. – Bisher hat sie es dem Privatunternehmungsgeiste anheimgegeben, und der ließ es bei gemeinlich schwachen, auf halbem Wege endigenden Versuchen bewenden. Ein neuer, seit 2 Jahren beharrlich und mit Nachdruck fortgesetzter Angriff verspricht bessern Erfolg.

Die Bergwerke, welche nicht allein für die sämmtliche Stahl- und Eisenfabrikation des Landes, sondern auch für die der benachbarten Gothaischen, Hennebergischen, Meiningischen, Eisenachischen etc. Gebiete, die Erze liefern, sind innerhalb dreistündiger Entfernung von der Stadt gelegen. Die berühmtesten sind die Mommel und der Stahlberg, beides außerordentlich mächtige Ablagerungen reichen Spatheisensteins, der sich auf der Scheidung des Urkalks und Granits gebildet hat. Sie sind schon seit länger als 600 Jahren im Betrieb, und es werden jährlich wohl 25,000 Tonnen, oder etwa 120,000 Centner Erze gefördert, welche an 35,000 Centner Roheisen liefern, aber bei einer vollkommeneren Schmelzweise ansehnlich mehr ausbringen würden. Diese Erze bedürfen, ehe sie geschmolzen werden, keiner weitern Zubereitung, als daß sie in kleine Stücke von der Größe einer Wallnuß gepocht werden. Stabeisen aus diesen Erzen, mit Sorgfalt gefertigt, steht an Güte dem besten schwedischen nicht nach. An Stahl macht man jährlich etwa 6000 Centner; vieles davon geht roh zur weitern Verarbeitung in’s Ausland. – Der Gesammtwerth der Schmalkaldener Eisen- und Stahlfabrikation in Stadt und Herrschaft beträgt gegenwärtig nicht über 160,000 Thaler. Er war in der blühendsten Zeit des Gewerbes viel bedeutender. Die hiesige Gewehrfabrik liegt darnieder, und eben so haben die Manufakturen von Plüsch, Parchenten, Drillichen etc. sich überlebt. Ein anderer Nahrungszweig Schmalkaldens, die Saline, hat aufgehört. Die nahen Asbacher Kupfer- und Kobaltgruben werden nicht mehr betrieben.

Außer der schönen Hauptkirche der Stadt, welche beiden, sowohl den lutherischen, als den reformirten Glaubensgenossen zur Gottesverehrung dient, und seiner alten, verödeten Wilhelmsburg, hat Schmalkalden wenig von architektonischem Interesse aufzuweisen; aber der Freund der Geschichte, der Freund auch der Aufklärung und Glaubensfreiheit, wird nicht verfehlen, sich die merkwürdigen Orte zeigen zu lassen, wo die deutschen protestantischen Fürsten am 29. Februar 1531 zu gemeinschaftlichem Schutz und zur Abwehr den berühmten Schmalkaldischen Bund schlossen, und wo, im Jahre 1537, sie sich unter Luther’s Beirath abermals versammelten, um die von dem großen Reformator aufgesetzten und gegen Papst, Concilien und Kaiser fest zu behauptenden Rechte und Glaubensgrundsätze (die sogenannten Schmalkaldener Artikel) zu prüfen. Der Zweck des Bundes konnte zwar durch den Krieg, den er unmittelbar herbeiführte (der sog. Schmalkaldener Krieg der protestantischen Stände gegen Carl V.) nicht durchgeführt werden; wurde aber durch den Passauer Vertrag (1552) später erreicht.




  1. Aus einem Tagebuche.