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Schwere, Elektricität und Magnetismus/§. 58.

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§. 58.
Eindeutige Existenz von .


 Es soll nun bewiesen werden, dass immer eine Function existirt, welche den Bedingungen (1), (2), (3) des vorigen Paragraphen Genüge leistet und zu beiden Seiten jeder Unstetigkeitsfläche Werthe von gegebener Differenz besitzt. Um diesen Beweis zu führen, schliessen wir von dem Raume, welchen der Leiter ausfüllt, solche Räume von unendlich kleiner Dicke aus, welche die Unstetigkeitsflächen in sich fassen. Wie dies gemacht wird, ist in §. 21 auseinandergesetzt und durch Figur 12 erläutert. Der übrig bleibende Raum des Leiters soll mit bezeichnet werden. In seinem Innern sind überall endlich und frei von Unstetigkeiten. Unter werde irgend eine Function von verstanden, die den folgenden beiden Bedingungen genügt. Für je zwei Punkte, die unendlich nahe an einander auf entgegengesetzten Seiten einer Unstetigkeitsfläche liegen, sollen die Werthe von eine gegebene endliche Differenz besitzen, und im Innern des Raumes sollen die ersten Derivirten von überall endlich und stetig variabel sein. |[227]

 Solcher Functionen gibt es unendlich viele. Wird eine von ihnen mit bezeiclmet, so lässt sich jede andere in die Form bringen:



wenn eine passend zu wählende Constante bedeutet und eine Function von ist, die denselben Bedingungen genügt wie , die aber selbst in den Unstetigkeitsflächen von nicht unstetig wird.

 Hiernach hat das Integral:


(1)


über den Raum erstreckt, einen endlichen, positiven Werth. Dieser Werth ändert sich, wenn man von einer Function zu einer anderen übergeht. Unter allen zulässigen Functionen gibt es demnach mindestens eine – wir wollen sie mit bezeichnen –, welche den Integralwerth zu einem Minimum macht. Die Bedingung dafür lautet


(2)


wenn unendlich klein genommen wird. Nun lässt sich aber entwickeln. Der Rechnungsgang ist in §. 34 vorgeschrieben. Man erhält:


(3)


Auf der rechten Seite der Gleichung (3) ist der erste und der dritte Bestandtheil positiv. Der zweite kann sowohl positiv als auch negativ ausfallen. Soll die Bedingung (2) befriedigt werden, so ist dazu nothwendig und hinreichend, dass


(4)


sei. Denn in der That kommt dann auf der rechten Seite von (3) zu ein positives Glied hinzu, das nur dann zu Null wird, wenn überall . Die Gleichung (4) ist also hinreichend für das Zustandekommen von (2). Sie ist aber auch nothwendig. Denn wenn sie nicht erfüllt wäre, so könnte man das Vorzeichen von so wählen, dass auf der rechten Seite von (3) der zweite |[228]Bestandtheil negativ ausfiele, und den Zahlwerth von so klein machen, dass der dritte Bestandtheil kleiner würde als der Zahlwerth des zweiten Bestandtheils. Dann hätte man



was mit (2) im Widerspruch steht.

 Nun können wir das Integral auf der linken Seite der Gleichung (4) nach §. 20 transformiren. Dadurch geht die Gleichung (4) in folgende über:


(5)


Das erste der beiden Integrale ist über den ganzen Raum zu erstrecken, das zweite über seine gesammte Oberfläche. Soll die Gleichung (5) erfüllt werden, so hat man jedes der beiden Integrale für sich gleich Null zu setzen. Das Raum-Integral wird zu Null, wenn für jeden Punkt im Innern von die mit multiplicirte Klammergrösse den Werth Null hat. Dies liefert die Bedingungsgleichung (1) des vorigen Paragraphen.

 Die Oberfläche von besteht erstens aus der freien Oberfläche des Leiters und zweitens aus den Hüllen der Unstetigkeitsflächen im Innern. Man hat also zunächst für jeden Punkt in der freien Oberfläche des Leiters gleich Null zu setzen, was mit multiplicirt ist. Dies liefert die Bedingungsgleichung (2) des vorigen Paragraphen.

 Die Hüllen einer Unstetigkeitsfläche sind zwei Flächen, welche auf entgegengesetzten Seiten unendlich nahe an ihr liegen und auf ihren Normalen resp. die unendlich kleinen Abschnitte und hervorbringen. Da die Normale immer nach dem Innern des Raumes gezogen wird, so hat man auf der positiven Seite der Unstetigkeitsfläche und auf der negativen Seite . Die Function ändert sich stetig, wenn der Punkt durch die Unstetigkeitsfläche hindurchgeht. Für zwei Punkte, die auf der negativen und auf der positiven Seite derselben Normale unendlich nahe an der Fläche liegen, hat also zwei Werthe, die von dem Werthe in dem Fusspunkte der Normale |[229]nur unendlich wenig verschieden sind. Das Oberflächen-Integral, welches über die beiden Hüllen einer Unstetigkeitsfläche erstreckt werden soll, ist demnach so zu schreiben:



Als Beitrag zu der Gleichung (5) ist dieses Integral einmal über alle Unstetigkeitsflächen zu erstrecken. Damit es den Werth Null erhalte, hat man für jeden Punkt in allen Unstetigkeitsflächen gleich Null zu setzen, was unter dem letzten Integral mit multiplicirt ist. Dies liefert die Bedingungsgleichung (3) des vorigen Paragraphen.

 Da nun unter allen zulässigen Functionen mindestens eine das Integral (1) zu einem Minimum macht, so erfüllt diese eine Function die Bedingungen (1), (2), (3) des vorigen Paragraphen. Es lässt sich noch zeigen, dass, abgesehen von einer additiven Constanten, diese Function die einzige Lösung der Aufgabe ist. Angenommen, es gäbe ausser noch eine andere Function , welche das Integral (1) ebenfalls zu einem Minimum macht, so würde die Bedingung dafür lauten:


(6)


wenn jetzt unter eine Constante verstanden wird, die unendlich nahe an 1 liegt. Beachtet man aber, dass die Function der Gleichung (4) Genüge leistet, so ergibt sich:



und



Folglich geht die Bedingung (6) in folgende Form über:


(7)


Man darf aber die Constante , welche unendlich nahe an 1 liegen soll, nicht bloss grösser, sondern auch kleiner als 1 nehmen. Die Bedingung (7) lässt sich deshalb nur dadurch erfüllen, dass |[230]das Integral den Werth Null erhält. Um das zu erreichen, hat man für jeden Punkt im Innern des Leiters



d. h. zu setzen.

 Es gibt also immer eine Function , welche den Bedingungsgleichungen (1), (2), (3) des vorigen Paragraphen Genüge leistet und zu beiden Seiten jeder inneren Unstetigkeitsfläche Werthe von gegebener Differenz besitzt. Jede andere Function, die dies auch thut, unterscheidet sich von jener nur durch eine additive Constante.

 Der Werth der additiven constanten Grösse lässt sich aus den gegebenen scheidenden Kräften nicht bestimmen. Ist ein Punkt der Leiteroberfläche mit der Erde durch einen unendlich dünnen Draht in Verbindung gesetzt, so ist in diesem Punkte . Ist dagegen der Leiter vollständig isolirt, so ist die algebraische Summe der Elektricitätsmengen constant, und zwar gleich Null, wenn ursprünglich keine freie Elektricität vorhanden war. In beiden Fällen gibt dies eine Nebenbedingung zur Bestimmung der additiven Constanten.

 Nachdem die Function für das Innere und die Oberfläche des Leiters bestimmt ist, kommt es noch darauf an, sie in den äusseren Raum hinein stetig so fortzusetzen, dass sie dort für jeden Punkt die Laplace’sche Gleichung



erfülle und dass sie in unendlicher Entfernung gleich Null sei. Es ist früher schon (§. 34) gezeigt, dass diese Fortsetzung der Function immer und nur auf eine Weise existirt. Zu ihrer Ermittlung ist der Green’sche Satz in Anwendung zu bringen (§. 21).

 Ist die Function für jeden Punkt im ganzen unendlichen Raume bekannt, so findet sich die Dichtigkeit der freien Elektricität im Innern des Leiters nach der Formel (6) und in der Oberfläche nach der Formel (7) des §. 45. Wenn in einem Theile des Leiters und ist, so geht hier die Gleichung (1) des vorigen Paragraphen über in:



|[231]d. h. es ist dann in diesem Theile des Leiters die Dichtigkeit der Elektricität gleich Null.