Schwere, Elektricität und Magnetismus/§. 60.

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§. 60.
Besonderer Fall: Die Scheidung findet nur in einer unendlich dünnen Schicht statt.


 Es soll nun der besondere Fall behandelt werden, dass die elektromotorischen Kräfte nur in einer unendlich dünnen Schicht auftreten, z. B. an der Berührungsfläche von zwei heterogenen Bestandtheilen des Leiters. In diesem Falle lässt sich die Bedingung, der im Innern des Leitersystems genügen muss, noch transformiren. Diese Bedingung lautet so, dass das Integral


(1)


über das ganze Leitersystem ausgedehnt, ein Minimum sein muss, und wenn dieselbe erfüllt ist, so hat das Integral (1) den Werth:


(2)


 Es gibt nun zwar unendlich viele Functionen , welche die Bedingung erfüllen. Aber je zwei von ihnen haben überall im Innern des Leiters eine constante Differenz. In Folge dessen bringen sie alle einen und denselben Minimalwerth (2) des Integrals (1) zu Stande. Von diesem Minimalwerthe wird man einen abweichenden Werth erhalten, wenn man für überall Null setzt. Da aber nur ein Minimalwerth des Integrals (1) vorhanden ist, so muss jeder abweichende Werth grösser ausfallen als der wahre Minimalwerth (2). D. h. wir haben die Ungleichung:


(3)


 Nun sind aber nach der Voraussetzung die Componenten nur in einer unendlich dünnen Schicht von Null verschieden. Aus der linken Seite von (3) fallen also alle Beiträge heraus, welche zu Raumelementen ausserhalb jener Schicht gehören. Für das Integral |[233]


bleibt deshalb nur ein Integrationsgebiet übrig, welches unendlich klein ist im Vergleich zu dem Raume, über welchen das Integral (2) zu erstrecken ist. Daraus folgt, dass die Ungleichung (3) nicht anders erfüllt werden kann, als wenn der Werth, welchen in der Grenzschicht besitzt, unendlich gross ist im Vergleich zu . Für diese Schicht gehen demnach die Gleichungen (2) des vorigen Paragraphen in folgende über:


(4)




 In irgend einem Punkte der Fläche, welche die beiden heterogenen Leiterbestandtheile trennt, errichten wir nach beiden Seiten die Normale und zählen auf derselben die von dem Fusspunkte aus genommenen Abstände nach der einen Seite positiv, nach der anderen negativ. Auf der negativen und auf der positiven Normale wahlen wir je einen Punkt unendlich nahe an der Trennungsfläche. Der erste habe die Coordinaten dann hat der andere die Coordinaten , und es ist ihr Abstand von einander. Multipliciren wir auf beiden Seiten der Gleichungen (4) resp. mit und addiren, so ergibt sich


(5)


Dabei sind mit und die Werthe der Function in jenen beiden der Trennungsfläche unendlich nahe gelegenen Punkten bezeichnet. Die Differenz dieser Werthe ist endlich und für jeden Punkt der Trennungsfläche bekannt, da überall in der unendlich dünnen Grenzschicht gegeben sind. Hier trifft also die Voraussetzung des §. 58 zu, dass die Differenz der Werthe von für je zwei Punkte gegeben ist, welche unendlich nahe an einander auf entgegengesetzten Seiten der Unstetigkeitsfläche liegen. Ausserhalb der Grenzschicht ändert die Function in dem übrigen |[234]von dem Leitersystem erfüllten Raume sich stetig. In diesem übrigen Raume ist . Folglich lautet die Bedingung für jetzt einfacher:


(6)


wenn für die Trennungsfläche gegeben.

 Hat man für das Innere des Leiters bestimmt, so finden sich die specifischen Stromintensitäten in der Richtung der Coordinatenaxen aus den Gleichungen:


(7)




 Diesen Fall hat zuerst Ohm*)[1] behandelt. Er nannte die Function die Spannung. Ueber die Bedeutung dieser Function war er aber im Irrthum. Er glaubte, sie drücke die Dichtigkeit der Elektricität aus.

 Die Differenz der Spannungen zu beiden Seiten der Grenzfläche zweier heterogenen Leiterbestandtheile hängt von der Natur dieser beiden Bestandtheile ab. 1st die Spannungsdifferenz für die Grenzfläche (oder wenn ihrer mehrere vorhanden sind, für jede derselben) bekannt, so ist durch die Bedingung (6) die Function bis auf eine additive Constante eindeutig bestimmt. Wie der Werth dieser Constante zu ermitteln und wie die Function nur in einer Weise stetig in den äusseren Raum sich fortsetzt, ist in §. 58 bereits erörtert.



  1. *) Ohm, G. S. Die galvanische Kette, mathematisch behandelt. Berlin 1827.