Schwere, Elektricität und Magnetismus/§. 73.

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§. 73.
Geometrische Bedeutung des Ausdruckes für .


 Das Integral in der Gleichung (3) des §.71 hat auch eine geometrische Bedeutung. Wir ziehen vom Punkte einen Strahl, welcher die Strombahn durchschneidet, und setzen ihn so in Bewegung, dass der Schnittpunkt die Curve von Anfang bis zu Ende durchläuft. Dadurch wird eine Kegelfiäche erzeugt, welche den Punkt zum Scheitel hat. Um denselben Punkt als Mittelpunkt legen wir eine Kugelfläche vom Radius 1. Diese wird von der Kegelfläche in einer geschlossenen Linie durchschnitten. Wir wollen zunächst der Einfachheit wegen vor- |[260]aussetzen, dass die Linie (die Projection von auf der Kugel) ebenso einfach in sich zurückläuft wie die Linie selbst, dass also, wenn man sie von Anfang bis zu Ende durchläuft, keiner ihrer Punkte mehr als einmal getroffen wird. Ueber die Gestalt der Fläche , welche von der Strombahn begrenzt wird, haben wir keinerlei besondere Voraussetzung gemacht. Wenn nun, wie eben verabredet worden, die Projection auf der Kugel vom Radius 1 eine einfach in sich zurücklaufende Linie ist, so können wir der Fläche eine solche Gestalt geben, dass ihre Projection ein von umschlossenes Stück der Kugeloberfläche einfach bedeckt. Zieht man dann vom Punkte aus durch irgend einen Punkt dieses umschlossenen Stückes der Kugeloberfläche einen Strahl, so wird dieser, gehörig verlängert, die Fläche in einem Punkte, aber auch nur in einem Punkte durchschneiden. Der wachsende Strahl tritt an dieser Stelle von der dem Punkte zugekehrten Seite der Fläche auf die abgekehrte Seite über. Der Theil der Kugeloberfläche, welcher von der Projection der Fläche nicht bedeckt wird, darf als das durch ausgeschlossene Gebiet bezeichnet werden. Zieht man von aus durch irgend einen Punkt des ausgeschlossenen Gebietes einen Strahl, so trifft dieser, wie weit man ihn auch verlängern möge, die Fläche gar nicht.

 Wir wählen auf der Fläche irgend einen Punkt und bezeichnen mit die Länge des Strahles, welcher vom Punkte nach hingezogen ist. Mit werde ein auf der Fläche genommenes Flächenelement bezeichnet, auf dessen Begrenzung der Punkt liegt. Lassen wir nun einen von ausgehenden beweglichen Strahl an der ganzen Begrenzung von hingleiten, so beschreibt er eine Kegelfläche. Diese schneidet die Kugeloberfläche vom Radius 1 in einer einfach in sich zurücklaufenden Linie, der Begrenzung eines auf der Kugel liegenden Flächenelementes , welches die Projection von ist.

 Die gegen die Fläche im Punkte errichtete positive Normale schliesst mit der Richtung des wachsenden einen Winkel ein, dessen Cosinus



ist, und dieser Cosinus ist positiv oder negativ, je nachdem die dem Punkte abgekehrte Seite der Fläche die positive oder die negative ist. |[261]

 Die Projection von auf einer um beschriebenen Kugel vom Radius berechnet sich



und es gilt das obere oder das untere Vorzeichen, je nachdem positiv oder negativ ist. Soll die Projection auf der Kugel vom Radius 1 ausgedrückt werden, so hat man noch durch zu dividiren, also


(1)


 Wir bezeichnen mit den Flächeninhalt der auf der Kugel vom Radius 1 liegenden Projection von , und zwar in dem Sinne, dass eine absolute Zahl ist. Alsdann ergibt sich aus (1) durch Integration


(2)


und es gilt das positive oder das negative Vorzeichen, je nachdem die Fläche dem Punkte ihre positive oder ihre negative Seite zukehrt.

 Nun ist noch auf das Vorzeichen von Acht zu geben. Wenn die Fläche dem Punkte ihre positive Seite zukehrt, so ist positiv oder negativ, je nachdem — von dem Punkte aus gesehen — der positive Strom in derselben Richtung fliesst, in welcher der Uhrzeiger weiterrückt, oder in der entgegengesetzten Richtung. Kehrt die Fläche dem Punkte ihre negative Seite zu, so gilt für die umgekehrte Vorzeichenregel. Dies lässt sich auch noch anders ausdrücken, nemlich: Das Vorzeichen von ist dasselbe wie auf der rechten Seite der Gleichung (2), wenn — vom Punkte aus gesehen — die Richtung des positiven Stromes mit der Drehungsrichtung des Uhrzeigers übereinstimmt. Und das Vorzeichen von ist das entgegengesetzte von dem auf der rechten Seite der Gleichung (2), wenn — vom Punkte aus gesehen — die Richtung des positiven Stromes der Drehungsrichtung des Uhrzeigers entgegengesetzt ist. Das Product



|[262]ist also positiv oder negativ, je nachdem vom Punkte gesehen — der positive oder der negative Strom in der Drehungsrichtung des Uhrzeigers fliesst.

 Für ein im Punkte angebrachtes Auge verstehen wir unter der Himmelskugel die um diesen Punkt als Mittelpunkt construirte Kugel vom Radius 1.

 Hiernach erhält man für die Herstellung der Potentialfunction im Punkte die folgende Regel:

 Man multiplicire den absoluten Werth der Stromintensität mit dem Theile der Himmelskugel, welcher für ein im Punkte befindliches Auge von der Strombahn umschlossen erscheint, und gebe dem Producte positives oder negatives Vorzeichen, je nachdem für dasselbe Auge die Richtung des positiven Stromes mit der Drehungsrichtung des Uhrzeigers übereinstimmt oder ihr entgegengesetzt ist.

 Diese von Gauss*)[1] ausgesprochene Regel behält auch dann ihre Gültigkeit, wenn die Projection der einfach in sich zurücklaufenden Strombahn auf der Himmelskugel Doppelpunkte enthält.
Fig. 38.
Dann kehrt die Fläche dem Punkte nicht mehr einerlei Seite zu. Vielmehr gehören (Fig. 38) zwei Bestandtheile von , deren Begrenzungen in einem Doppelpunkte zusammenstossen, zu solchen Theilen der Fläche , welche dem Punkte entgegengesetzte Seiten zukehren. Die einzelnen auf einander folgenden Bestandtheile von kommen also nach Gleichung (2) mit abwechselnden Vorzeichen in Rechnung und haben alle dasselbe mit einerlei Vorzeichen als gemeinschaftlichen Factor. Will man aber die absoluten Werthe der einzelnen Bestandtheile von mit dem absoluten Werthe von multiplicirt in Rechnung bringen, so hat man den Producten abwechselnde Vorzeichen zu geben und kommt so auf die von Gauss aufgestellte Regel zurück.



  1. *) Allgemeine Theorie des Erdmagnetismus, Art. 38. (Resultate aus den Beobachtungen des magnetischen Vereins. 1838. — Gauss’ Werke, Bd. 3.)