Schwindsucht und Höhenklima
Schwindsucht und Höhenklima.
In der zweiten Sitzung der vierten Jahresversammlung des „Internationalen Vereins gegen Verunreinigung der Flüsse, des Bodens und der Luft“ zu Mainz im September 1880 hielt Professor A. Vogt aus Bern einen Vortrag über: „Schwindsucht und Höhenklima“. Nach dem Referat über diesen Vortrag in der Zeitschrift „Gesundheit“ war der Gedankengang des Redners, einer Autorität auf diesem Gebiete, folgender:
Die neuesten Untersuchungen, welche in Baiern und der Schweiz angestellt wurden, haben bestätigt, daß die Schwindsucht in zunehmender Höhenlage abnehme, was mit den Erfahrungen [563] und Erhebungen der früheren Zeit übereinstimmt. Physiologische Forschungen ergaben nun bekanntlich, daß für die Gesundheit des menschlichen Organismus eine bestimmte normale Sauerstoffmenge nothwendig sei, daß dieses Bedürfniß sich nach dem Gewichte des Sauerstoffes richtet, welche Gewichtsmenge aber je nach den Veränderungen des Luftdruckes in einem größeren oder kleineren Volumen von Luft enthalten sei. Es müssen also zur Befriedigung dieses Bedürfnisses verschiedene Mengen Luft eingeathmet werden, je nach dem geringeren oder höheren Luftdruck, und auf der Höhe, wo leichtere Luft ist, natürlich eine größere Luftmenge als am Meeresstrande oder in der Ebene. In Folge dessen übt das Höhenklima einen mächtigen Einfluß auf unsere Athemvorgänge aus, gegen welche jede willkürliche Athmungsgymnastik in der Ebene weit zurücktreten muß, weil beim reichlichen Einathmen von Luft in der Ebene das normale Sauerstoffbedürfniß überschritten und die Bilanz des Stoffwechsels hierdurch gestört wird. Das Höhenklima führt durch seinen ununterbrochenen Einfluß die Einwirkung täglich 24 Stunden lang aus, während die willkürliche Athmungsgymnastik sich nur auf kurze und gegenüber dieser Zeitdauer unbedeutende Fristen zu beschränken hat, wobei die Thätigkeit des Herzens gleichzeitig in höherem Grade angeregt wird. In Europa sterben alljährlich an der Schwindsucht von je einer Million Einwohner nahezu 3000; will die öffentliche Gesundheitspflege diese zahlreichen Opfer verringern, will sie die Schwindsucht wirklich bekämpfen und sich nicht darauf beschränken, theoretisch nur über die Nachtheile zu sprechen, so müssen Volks-Sanatorien auf geeigneten Höhen angestrebt werden, welche nicht nur der geringen Zahl der Wohlhabenden erreichbar und benutzbar sind, sondern welche in erster Linie auch den weit zahlreicheren Hülfsbedürftigen der ärmeren Classen zugute kommen, die jetzt in Folge der beschränkten Mittel der Hülfeleistung vielfach entbehren und dazu verurtheilt bleiben, langsam hinzusiechen.
So Professor A. Vogt. Drei Punkte sind es in diesem Vortrage, welche weiter ausgeführt und zu allgemeinerer Kenntniß gebracht zu werden verdienen, wenn anders die neueren Erfahrungen über die Wirksamkeit des Höhenklimas gegen die chronische Lungenschwindsucht den Nutzen schaffen sollen, der ihnen gebührt. Diese Punkte sind:
1) der durch die verdünnte Luft der Gebirge hervorgerufene mächtige Einfluß auf die Athemvorgänge, die unwillkürliche Athmungsgymnastik; 2) die hierdurch – und wie wir gleich hinzufügen wollen, ganz besonders durch den verminderten Luftdruck – in höherem Grade angeregte Thätigkeit des Herzens; 3) die hieraus resultirende Forderung an die Gesundheitspflege zur Schaffung von Volks-Sanatorien auf geeigneten Höhen für Unbemittelte.
Diese Punkte wollen wir im Folgenden ein wenig eingehender betrachten, und da wirft sich uns zunächst die Frage auf, wie so eine vermehrte Athmungsgymnastik günstig auf die Heilung von chronischen Lungenkrantheiten einwirken kann? Zur Beantwortung derselben müssen wir ein wenig weiter ausholen und uns zunächst klar zu machen suchen, was denn eigentlich die Lungenschwindsucht für eine Krankheit ist, ob überhaupt bei derselben von Heilung die Rede sein kann, wie und wodurch diese Heilung bejahenden Falles zu Stande kommt.
Unter Lungenschwindsucht versteht man eine gewöhnlich auf der Grundlage vorhergehender acuter oder chronischer Krankheiten, wie Typhus, Lungen- und Rippenfellentzündung, Wochenbetten, Bleichsucht, Scrophulose, entstehende und stets mit allgemeiner, wie localer Blutarmuth verbundene Entzündung einer oder mehrerer, mehr oder minder großer Partien einer oder beider Lungen, mit Absetzung eines Exsudates (Ausschwitzung, Ausscheidung) zwischen den Lungenzellen. Auch bei der hitzigen Lungenentzündung findet Absetzung eines Exsudates in den ergriffenen Lungenzellen statt; während aber hier dieses Exsudat gewöhnlich nach Ablauf eines bestimmten Zeitraumes, und zwar meistens nach sieben Tagen durch Lösung und Aufsaugung verschwindet und damit die Krankheit in Genesung übergeht, hat bei der chronischen Lungenentzündung, der sogenannten Lungenschwindsucht, das gesetzte Exsudat gar keine Neigung sich spontan wieder aufzusaugen, sondern stirbt ab und verwandelt sich sammt den ergriffenen Lungenpartien in eine käsige, harte oder weiche Masse, welche ausgehustet werden kann und an deren Stelle Lücken in der Lunge, Höhlungen, sogenannte Cavernen, zurückbleiben. Tritt auch jetzt noch keine Besserung ein, so werden die Höhlenwandungen immer weiter in Eiter verwandelt und ausgehustet; die Lunge wird auf einer größeren Strecke vernichtet, der Körper durch Fieber, Abzehrung, Nachtschweiße immer mehr aufgerieben, sodaß das tödtliche Ende nicht lange auf sich warten läßt.
In günstigen Fällen, aber allerdings ganz selten und nur im Beginn der Erkrankung kommt es vor, daß das Exsudat dennoch aufgesaugt und der Verkäsung der ergriffenen Partien vorgebeugt wird. Häufiger wird die Heilung dadurch bewirkt, daß nach Ausstoßung alles Abgestorbenen die entstandenen Cavernen, die nun eine Geschwürshöhle darstellen, sich mit guten Granulationen (Fleischwärzchen) bedecken, welche sich allmählich in eine nicht mehr eiternde Narbe verwandeln. Auch die Höhle selbst kann ganz verschwinden dadurch, daß die Höhlenwandungen sich an einander legen und zusammenwachsen, sodaß der betreffende Kranke alsdann nur eine Narbe als einziges Zeichen seiner früheren Krankheit in seiner Lunge behält. In anderen Fällen verhärten sich die käsigen Herde zu einer kalkartigen Masse und verbleiben als solche in der Lunge, ohne dem Kranken weitere Belästigung zu verursachen; doch bleibt in diesem Falle stets die Möglichkeit, daß sie sich nachträglich unter irgend einer nachtheiligen Beeinflussung erweichen, das Blut inficiren und Rückfälle veranlassen können.
Es ist durch mikroskopische Untersuchung der ausgehusteten Massen seitens verschiedener Forscher sicher festgestellt, daß dreiundneunzig Procent aller chronisch Lungenkranken an Cavernen leiden, sobald sie zwei bis drei Monate lang krank gewesen sind. Es ist uns dies ein Fingerzeig dafür, auf welche Weise die Natur selbst die Heilung anstrebt; sie sucht alles Fremdartige von sich fernzuhalten oder aus sich zu entfernen; ein abgestorbener Körpertheil ist ihr etwas Fremdes, Schädliches, und sie befreit sich von demselben auf die zweckmäßigste Weise.
Dem Arzte liegt es ob, diesen Fingerzeig zu benutzen; es ist daher seine Pflicht, bei allen Lungenkranken, die schon längere Zeit leidend sind oder an welchen er durch die Untersuchung das Vorhandensein verkäster Herde nachweisen kann, die Erweichung und Aushustung dieser käsigen Massen in einer dem Allgemeinzustande des Kranken angepaßten Weise zu befördern.
Hiermit ist aber seine Thätigkeit noch lange nicht abgeschlossen: er hat des Weiteren dafür zu sorgen, daß die auf diese Weise entstandene Höhlung nicht weiter fresse, sondern sich mit derbem Narbengewebe auskleide, sowie daß nicht neue Exsudationen in bisher gesunden Lungenstrecken Platz greifen.
Nun entsteht die weitere Frage: besitzt denn der Arzt die nöthigen Mittel, welche geeignet sind, die eben geschilderten Vorgänge in den Lungen Kranker zu beherrschen?
Ja, diese Mittel besitzt der Arzt, zwar nicht für alle Kranke, aber doch für eine große Zahl derselben, daß aber diese Zahl nicht eine noch größere ist, daran sind leider nicht selten die Patienten selbst schuld; giebt es doch zahlreiche Lungenkranke, welche sich so spät in ärztliche Behandlung geben, daß nach Ausstoßung alles Abgestorbenen nicht mehr hinreichend gesundes Lungengewebe übrig bleibt, um den Athmungsproceß und damit das Leben auf längere Zeit zu unterhalten; andererseits tritt vielfach die Krankheit von vornherein so heftig auf, ist mit solch hohen Fiebertemperaturen und solchem Darniederliegen aller Kräfte verbunden (galoppirende Schwindsucht), daß man von Anfang an auf Heilung verzichten und sich nur auf Linderung der unangenehmsten Begleiterscheinungen beschränken muß. Immerhin bleibt die Zahl der Schwindsüchtigen, welche die Thätigkeit des Arztes lohnen, eine große.
Welcher Art sind denn die Mittel des Arztes zur Herbeiführung des oben geschilderten Heilungsvorganges? Daß es keine Medicamente sind, welche denselben herbeiführen, leuchtet wohl Jedem ein; durch Medicamente lassen sich höchstens einige lästige Nebenerscheinungen der Schwindsucht mäßigen und mildern. Bevor ich aber das Hauptheilmittel der Schwindsucht näher bespreche, muß ich zum bessern Verständniß der Wirkungsweise derselben noch etwas weiter ausholen, und zunächst die Frage beantworten:
Wie kommt es, daß in einem durch vorhergehende Krankheiten, anhaltende Gemüthsaffecte, schlechte Ernährung oder andere klimatische oder hygienische Verhältnisse geschwächten Körper so leicht und gern eine käsige schleichende Lungenentzündung – Lungenschwindsucht – auftritt? Warum werden andere Organe des Körpers viel seltener durch diese Veranlassungen afficirt?
Das hat zumeist zwei Ursachen: einmal ist die Lage der Lunge eine sehr exponirte, allen Insulten durch die Athmungsluft [564] zugängliche; es ist ein Oberflächenorgan ohne den mächtigen Schutz, den diese sonst haben. Dazu kommt der eigenartige Bau: eine enorme, fast gerüstlose Häufung und Verknäulung von blut-, lymphe- und luftführenden Canalsystemen, denen zum Theil freie Mündungen an die Oberfläche und eine fast strukturlose Dünnwandigkeit eigen, wodurch die Zugänglichkeit für Schädlichkeiten jeder Art erhöht wird. Sodann – und das ist die Grundursache – ist die Lunge ungemein abhängig vom Herzen, an dessen Aufregungen und Schwächezuständen sie unmittelbar Theil nimmt, und zwar in solch hohem Grade und in solch directer Weise, daß ich nicht anstehe zu behaupten: keine Schwindsucht ohne vorhergehende und begleitende Herzschwäche, keine Heilung der Schwindsucht ohne Kräftigung des Herzmuskels.
Es ist diese Ansicht nichts Neues, aber seither kaum je so kategorisch hingestellt worden. Ich halte es daher in jedem Stadium der Schwindsucht für die erste Pflicht des Arztes, den Herzmuskel einerseits zu schonen und andererseits zu kräftigen, mit anderen Worten: den bei allen Schwindsüchtigen vorhandenen kleinen, raschen, fadenförmigen Puls in einen kräftigen, langsamen und vollen umzuwandeln. Gelingt dies nicht, so ist einfach keine Rettung mehr möglich.
Nun ist doch nichts natürlicher, als daß wir nach einem Mittel suchen, welches in Schwindsuchtsfällen die Kräftigung des Herzens in langsamer, stetiger, aber unfehlbarer Weise zu Stande bringt. Ein solches Mittel ist das Höhenklima. Wir besitzen zwar außerdem Mittel, welche für kürzere oder längere Zeit eine Kräftigung des Herzens bewirken, so in gewissen Fällen die Digitalis, der Weingenuß, gewisse Arten des Wasserheilverfahrens etc., Mittel, welche wir selbst an Höhencurorten als angenehme und willkommene Behelfe selten entbehren mögen. Keins aber wirkt so ununterbrochen, so unmerklich und doch auf die Dauer so radical, wie die sauerstoffarme Gebirgsluft und der verminderte Luftdruck des Gebirges, beide Momente zwar auf verschiedene Weise, aber in demselben Sinne und zu gleichem Zwecke. Wir wollen beide in ihrer verschiedenen Wirkungsweise näher betrachten.
Wenn wir uns am Meeresstrande befinden, so lastet auf uns der Druck der gesammten über uns befindlichen Luftsäule, und zwar auf jedem Quadratcentimeter Körperoberfläche mit einem Gewichte, welches gleich ist einer Quecksilbersäule von einem Quadratcentimeter Querschnitt und einer Höhe von 760 Millimeter. Eine solche Quecksilbersäule wiegt 1032,8 Gramm, und es lastet also auf jedem Quadratcentimeter Körperoberfläche des Menschen am Meeresgestade ein gleiches Gewicht. Desgleichen befindet sich die dort eingeathmete Luft in demselben Verhältnisse unter dem Drucke der über ihr ruhenden Atmosphäre; sie befindet sich also in einer bestimmten und ziffernmäßig zu belegenden Spannung. Je höher wir uns über der Meeresfläche erheben, eine um so geringere Luftsäule ruht auf uns und allem uns Umgebenden. Die von uns eingeathmete Luft – bekanntlich ein Gemisch von circa 79 Volumtheilen Stickstoff und 21 Volumtheilen Sauerstoff, bei geringen Theilen Kohlensäure und Wasserdampf – kann sich in ihren Mischungsverhältnissen nicht ändern, aber sie hat, wie alle Gase, das Bestreben, sich bei nachlassendem Drucke auszudehnen, einen größeren Raum als bei höherem Drucke einzunehmen. Mit Einem Worte: wir athmen bei zunehmender Höhe zwar dieselbe Luft ein in Betreff ihrer Mischungsverhältnisse, aber nicht dasselbe Quantum an Gewicht. Am Meeresstrande wiegt ein Kubikfuß Luft schwerer, als in einer Höhe von z. B. 650 Meter.
Da nun, wie wir aus dem Referat über den Vortrag des Herrn Professor Vogt am Eingange dieses Artikels gelernt haben, das Bedürfniß des Körpers an Sauerstoff sich nach dem Gewichte des letzteren richtet, so muß der Mensch zur Deckung dieses Bedürfnisses in der Höhe mehr Luft einathmen, als in der Ebene, das heißt also tiefer und schneller athmen. Das steht unumstößlich fest.
Was ist nun die directe unmittelbare Folge anhaltend vertiefter und beschleunigter Athemzüge?
Die Physiologie lehrt uns, daß bei jeder tiefen Einathmung das verbrauchte venöse Blut kräftiger zum Herzen zurück fließt, während bei jeder tiefen Ausathmung das erfrischte arterielle Blut kräftiger vom Herzen in und durch die Lunge strömt. Erleichterung des Rückflusses verbrauchten Blutes zum Herzen, Beförderung des arteriellen Blutzuflusses, also rascherer Blutdurchfluß durch die Lungen, das ist die unmittelbare Folge tiefer Athmung, das heißt des Aufenthaltes im Höhenklima. Dieser Effect ist aber ein Tag und Nacht andauernder und deshalb ein in seinen Wirkungen so mächtiger und heilsamer.
Als zweiter Factor tritt hinzu der verminderte Luftdruck größerer Höhen. Dieser durch das Barometer jederzeit meßbare verminderte Druck der über uns befindlichen Atmosphäre macht sich überall am menschlichen Körper dort geltend, wohin die Luft dringen kann, also vorzugsweise an der Oberfläche der Haut und der der Luft zugänglichen Schleimhäute und der Lungen. Es werden sich daher die zu Tage liegenden oberflächlichen Blutgefäße stärker mit Blut füllen, sich erweitern und dadurch auf Kosten der der Luft nicht zugänglichen inneren Organe, besonders der Bauchorgane und der Muskeln, eine total veränderte Blutvertheilung im menschlichen Körper hervorrufen. Auf großen Höhen geht dieser Trieb des Blutes in gesundheitsgefährlicher Weise nach außen, wie Jeder weiß. Auf geringeren Höhen, z. B. von 650 Meter, macht sich diese Blutvertheilung nicht so massiv und zum Schaden der Gesundheit geltend, aber doch als eine wirkende Ursache, die in die Oekonomie des menschlichen Organismus mächtig einzugreifen vermag, und sind es ganz besonders die Verhältnisse der Blutcirculation und des Herzens, welche bei dauerndem Aufenthalte unter vermindertem Luftdrucke eine heilsame Veränderung erfahren. Während die Füllung der dem verminderten Drucke der verdünnten Luft ausgesetzten größeren und besonders der kleinsten Blutgefäße, der sogenannten Capillaren der äußeren Haut und der Lunge zunimmt, wird die Circulation des Blutes durch Zunehmen der Herzkraft und Vermehrung der Gefäßspannung beschleunigt.
Der absolute Blutdruck wird vermindert, der relative Blutdruck (das heißt relativ zur Verminderung des Luftdruckes) dagegen erhöht, und es tritt trotz Mehrleistung des Herzens eine Verminderung der Herzarbeit, eine Erleichterung der Herzthätigkeit ein. Wie wichtig dies ist, haben wir oben gesehen. Professor Waldenburg in Berlin gebührt das große Verdienst, auf diese Seite der Wirkung des Höhenklimas zuerst und erschöpfend aufmerksam gemacht zu haben, und er empfiehlt daher längeren Aufenthalt im Gebirge allen denjenigen Kranken auf’s Dringendste, bei denen die Herzkraft geschwächt ist, das heißt Reconvalescenten nach schweren Krankheiten, Bleichsüchtigen und Blutarmen, gewissen Herzkranken und ganz besonders den chronisch Lungenkranken. Der Nutzen des Höhenklimas offenbart sich nach Professor Waldenburg so unbestreitbar, daß selbst schwere Mängel, die ihm anhaften (als rauhere Luft, vermehrte Luftbewegung) durch die Vorzüge überwogen werden. Mau sieht Kranke bei hoher winterlicher Kälte und beträchtlichen Temperaturschwankungen in hochgelegenen Heilanstalten sich wohl befinden und mehr und mehr sich bessern. Die Thatsache, daß in Gebirgen Schwindsucht gar nicht vorkommt, ist Wohl Jedem bekannt und lediglich darauf zurückzuführen, daß eine Erlahmung der Herzkraft hier selbst unter schwächenden Einflüssen nicht auf die Dauer Platz greifen kann.
Das unbestreitbar große Verdienst, auf das Nichtvorkommen der Schwindsucht in hohen Gebirgslagen und auf die Heilkraft solcher Lagen bei vorhandener Schwindsucht zuerst hingewiesen, zugleich auch durch Errichtung einer Gebirgsheilanstalt seine Lehre praktisch verwerthet zu haben, gebührt dem Dr. Brehmer in Görbersdorf (1850). Nicht lange nachher wurde Davos in der Schweiz zu einem Luftkurort für Lungenkranke, besonders für Wintercur, geschaffen. Alsdann folgte 1870 die Heilanstalt Reiboldsgrün, 690 Meter über der Ostsee und inmitten meilenweiter Fichtenwaldungen geschützt gelegen, welcher Verfasser dieses Artikels als Arzt vorsteht. Im Jahre 1875 wurde eine zweite Heilanstalt in Görbersdorf errichtet unter der Direktion des Dr. Römpler. Sodann folgte die Eröffnung einer südlichen, aber nur 440 Meter hoch gelegenen Actienheilanstalt in Falkenstein im Taunus, jetzt unter der Direction des Dr. Dettweiler. Auch St. Andreasberg am Harz (600 Meter hoch) nimmt seit Kurzem Lungenkranke auf, ebenso noch einige andere Gebirgsorte. Die in sämmtlichen Anstalten im Sommer wie Winter erzielten Erfolge entsprechen durchaus den gehegten Erwartungen, obgleich in der Behandlung in manchen Punkten von einander abgewichen wird. Aber die Zahl dieser Anstalten ist viel zu gering gegenüber der übergroßen Anzahl Lungenkranker; eine Vergrößerung der einzelnen Heilstätten empfiehlt sich nicht, da die einheitliche Leitung derselben darunter leiden könnte und eine zu große Anhäufung so verschiedenartiger Lungenkranker an einem Orte sich aus mannigfachen [566] Gründen nicht empfiehlt. Dagegen wäre die Errichtung einer Gebirgs-Lungenheilanstalt in jeder dazu geeigneten deutschen Provinz sehr wünschenswerth, damit so jedem Lungenkranken die Möglichkeit der Heilung geschaffen würde.
Aber der Aufenthalt in diesen Anstalten ist nur möglich durch große Opfer an Zeit und Geld. Kurze Dauer des Aufenthaltes nützt nicht genug; auf mehrere Monate muß sich Jeder gefaßt machen. Die Regie einer großen Anstalt erfordert aber einen kolossalen Aufwand an Personal, sanitären und hygienischen Einrichtungen, laufenden Reparatur- und Verwaltungsausgaben und Capitalzinsen; gute Besuchszeiten müssen die schlechteren Wintermonate mit übertragen, sodaß ein halbwegs Vernünftiger einsehen muß, daß von einer absoluten Billigkeit keine Rede sein kann. Und wenn auch in einigen Anstalten die Preise billiger sind als in anderen, so gehört zur Heilung einer Lungenkrankheit immerhin ein Capital, welches für Unbemittelte und minder Vermögende unerschwinglich ist. Und gerade unter dieser Classe finden sich naturgemäß die meisten Opfer der Schwindsucht. Deshalb entspricht das Verlangen des Professor Vogt nach Schaffung von Höhen-Volks-Sanatorien einem wirklichen Bedürfnisse.
Diese Idee ist nicht neu; der verstorbene Professor Lebert in Breslau sprach sich schon 1869 in seinem Schriftchen über Milch- und Molkencuren ähnlich aus:
„Es ist Zeit, daß Staat, Volk und Gemeinde begreifen, daß sie dieser traurigen Krankheit und ihren zahllosen Opfern gegenüber Pflichten zu erfüllen haben, welche sie bis jetzt nicht erfüllen.“
Und weiter:
„Ich gebe diese Vorschläge keineswegs irgendwie als mustergültig. Ich möchte nur zeigen, daß die Möglichkeit der Ausführung meiner Vorschläge nicht zu den chimärischen Utopien gehört, sondern zur Wirklichkeit werden kann, sobald man nicht von vornherein jedem Vorschlage von Verbesserungen das starre ‚Non possumus!‘ oder das milder klingende ,Wir haben kein Geld!’ systematisch entgegensetzt. Sehr gut und nützlich angewandt sind die großen Summen, welche man auf Verbesserung der Thierrassen verwendet hat; es wäre aber auch gewiß an der Zeit, daß man für Verbesserung der Gesundheit der Menschenrasse das Nothwendige thue, wenn es auch sogenannte Opfer kostet.“
Der kaiserlich russische Staatsrath Dr. C. von Mayer fügt dem in einem Schriftchen über die Lungenschwindsucht hinzu:
„Wie manche Krankheitsanlage könnte getilgt werden, wie manches Leben erhalten bleiben, wenn solchen Kranken, noch vor dem Ausbruche der verderblichen Krankheit, eine Heilanstalt offen stünde, in der sie die für ihr Leiden nöthige Pflege finden könnten! Daß Schwindsüchtige nicht in ein Krankenhaus im gewöhnlichen Sinne des Wortes hineingehören, darüber werden Wohl alle Aerzte einig sein. Gott gebe, daß der Staat sowohl wie auch Aerzte sich dieser schönen Aufgabe unterzögen, solche Anstalten – und ihrer recht viele – zu errichten!“
Der kaiserlich königlich österreichische Stabsarzt Dr. L. Günzberg hat sich sogar die Mühe gegeben, einen „Entwurf über ländliche Curorte für minder bemittelte Brustschwache mit tuberculöser Anlage“ auszuarbeiten mit Bauplan, Kostenvoranschlag und Erhaltungsplan. Eine solche Anstalt könnte sich leicht selbst erhalten, wenn sie zugleich im Besitze eines entsprechend großen Landgutes mit Viehwirthschaft wäre. Ich selbst habe mich seit Jahren vielfach mit der Idee der Errichtung von Volks-Sanatorien für arme Lungenkranke beschäftigt, da ich so recht an der Quelle des Elendes sitze, welches die Lungenschwindsucht in den ärmeren Familien anrichtet. Den Staat kann man nicht heranziehen zu einem solchen Humanitätswerke. Hier kann nur die gemeinsame Hülfe edler Herzen rettend eingreifen. Wie aber die Idee dieser Unternehmung der Menschenliebe, zu welcher die obigen Darlegungen auf’s Neue die Anregung geben wollten, verwirklicht werden kann, darüber wird hoffentlich recht bald ein gemeinsamer Beschluß berufenster Männer an die Oeffentlichkeit treten.