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Adolf Friedrich Graf von Schack

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Textdaten
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Autor: Rudolf von Gottschall
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Titel: Adolf Friedrich Graf von Schack
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 560–562
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
siehe auch: Adolf Friedrich von Schack
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Adolf Friedrich Graf von Schack.

Niemals hat in höherem Maße als jetzt die Mode die literarische Geltung bestimmt, welche damit unberechenbaren Einflüssen preisgegeben ist. Man glaube ja nicht, daß einstimmige Anerkennung der Kritik, die allerdings zu den größten Seltenheiten gehört, einen Dichter „modern“ machen kann! Im Gegentheil: die Mode geht oft gegen die Kritik, bis sie dieselbe mehr oder weniger mit sich fortreißt; denn diese ist nicht so hartherzig und unbestimmbar, wie es oft den Anschein hat; einem fait accompli wird sie immer Rechnung tragen; der äußere Erfolg findet auch bei ihr ein geneigtes Ohr; hat man doch Beispiele genug, daß Kritiker, trotz anfänglicher scharfer Opposition, mit Sang und Klang in das Lager eines erfolgreichen Modedichters übergegangen sind; ein schlagender Beweis für den tiefsinnigen Ausspruch: Rien ne réussit que le succès – der Erfolg allein entscheidet.

Glücklicher Weise bestimmt die Mode aber nur den Tageserfolg, bei Dichtungen und Romanen den momentanen Absatz, bei Dramen die „Saisonbeliebtheit“: dann tritt für derartige Stücke eine oft für immer andauernde „todte Saison“ ein. Ein dauernder Erfolg dagegen kann sich oft durch einen halben oder gar durch einen Mißerfolg einleiten; denn großartige Dichtungen gewinnen oft erst allmählich das Verständniß der Nation, dann aber wurzeln sie tief und fest in der Anerkennung der kommenden Geschlechter.

Zu den deutschen Dichtern, welche nicht beliebte Modepoeten sind, aber es zu sein verdienten, wenn die Mode sich nach dichterischer Bedeutung richtete, gehört Adolf Friedrich Graf von Schack, der als Sprachgelehrter, Literaturforscher und formgewandter Uebersetzer, als Kunftmäcen in großem Stil in weitesten Kreisen bekannt ist, dessen dichterische Schöpfungen aber noch nicht die verdiente Anerkennung gefunden haben.

Geboren am 2. August 1815 zu Brüsewitz bei Schwerin, folgte der junge Schack seinem Vater nach Frankfurt, wohin dieser als Bundesgesandter berufen worden war, besuchte dort das Gymnasium sowie später (1834 bis 1838) in Bonn, Heidelberg und Berlin die Universität, um die Rechte zu studiren. Kurze Zeit nur war er im preußischen Staatsdienste als Referendar thätig: dann trieb ihn eine unwiderstehliche Reiselust, genährt durch das Stadium orientalischer und romanischer Sprachen, nach dem Orient und von dort nach Spanien. Zurückgekehrt, wurde er Kammerherr und Legationsrath des Großherzogs von Mecklenburg und bekleidete mehrere diplomatische Stellungen. Als Geheimer Legationsrath nahm er 1852 seinen Abschied, ging zunächst auf seine mecklenburgischen Güter, dann nach Spanien. Einer Einladung des Königs Maximilian des Zweiten von Baiern folgend, der damals wissenschaftliche und dichterische Größen um sich versammelte, siedelte er nach München über, wo er seit 1855 einen Theil des Jahres sich aufhält. Dort gründete er jene Gemäldegallerie, welche zugleich ein Zeichen seines feinen Kunstsinns und der fürstlichen Liberalität ist, mit welcher er viele hervorragende Maler der Jetztzeit durch Anregung zu bedeutsamen Schöpfungen und durch Ankauf derselben freigebig förderte. Den Fremden, welche München bereisen, ist der Zutritt zu dieser Gallerie stets offen, und sie wird nicht weniger besucht, als die königlichen Gallerien. Enthält sie doch Meisterwerke von Bonaventura Genelli, Anselm Feuerbach und anderen hochbegabten Malern der Gegenwart; eine jüngsterschienene Schrift über die Schack’sche Gemäldegallerie eröffnet in geschmackvoller und lehrreicher Weise die Kenntniß dieser reichen Kunstschätze.

Doch wir haben es hier in erster Linie mit dem Dichter zu thun, und Schack’s poetische Werke dem großen Publicum näher zu bringen, ist der Zweck dieser Zeilen. Graf Schack hat auf fast allen Gebieten der Dichtkunst sein Talent bewährt, und mit diesem Talent eine den öffentlichen Interessen der Nation und den Gedanken der Zeit zugewendete Begeisterung. Hierin liegt zugleich, daß er kein akademischer Dichter ist und daß er uns in seinem lyrischen Album keine bloße Studienmappe bietet. Es ist dies ein Vorzug, welcher der Winkelästhetik der Akademiker allerdings für eine Schattenseite gilt; denn nach ihren Grundsätzen wird ja die reine Poesie durch jede Berührung mit den Zeitgedanken befleckt; sie soll in zeitloser Herrlichkeit den Altardienst des Schönen versehen, was indeß nicht ausschließt, daß gerade diese Poeten sich in einem Carneval der dichterischen Formen aller Nationen und aller Zeiten gefallen. Auch von diesem buntscheckigen Formencultus hat sich unser Dichter stets ferngehalten.

Graf Schack ist allerdings kein Liederdichter, und diejenigen, welche meinen, daß das Lied und das liederartige Genre die Quintessenz der Lyrik sei, werden ihn daher auch nicht als Lyriker gelten lassen. Diese „Stillen im Lande“, welche einige herumflatternde Sonnenfäden der Empfindung aufzufangen, einige Stimmungsbildchen in Aquarell zu malen lieben, bilden eine sehr verbreitete Gemeinde, die sich ablehnend gegen jede geistig gehaltvolle Lyrik verhält und ihre Kränze an diejenigen vertheilt, denen einmal ein solches Cabinetsstück intimer Empfindung gelungen ist. Niemand wird vom Liede als solchem gering denken; es ist eine berechtigte Gattung der Lyrik – aber es ist nicht die einzige. Große Dichter haben unvergängliche Lieder geschaffen, aber wer dem lyrischen Talent keine andere berechtigte Offenbarung zuerkennt, als Duft und Hauch zarter Empfindung, für den wird sich die Reihe der großen, unsterblichen Dichter in bedenklicher Weise lichten; nicht Pindar, nicht Klopstock, nicht Schiller, nicht Byron oder Victor Hugo dürfen dann auf einen Platz auf dem lyrischen Parnaß Anspruch erheben.

Daß Graf Schack kein Liederdichter im engeren Sinne des Wortes ist, das beweisen seine „Gedichte“ (1866); jene Kleinmalerei des Seelenlebens, welche zur Liederdichtung gehört, werden wir in ihnen vergeblich suchen; denn auch in den „Liedern der Treue“, in dem Liedercyclus „Aus der Heimath“ überwiegt die gedankenvolle Reflexion. Das eigenste Bereich derselben sind aber die schwunghaften, hymnenartigen Dichtungen in freien Rhythmen, die Perlen der Sammlung, wie „Die Tempel von Theben“, „Der Pic von Teneriffa“, „Die Jungfrau“, die er im Strahl der sinkenden Sonne erblickt:

„Ueber die Stirn ihr glimmt
Bleich und golden und roth
Ein wechselnder Schimmer.
Plötzlich erblassend
Vor den gähnenden Tiefen des Alls,
In die der Blick ihr hinunterstarrt,
Scheint sie zurückzubeben.
Dann wieder umfliegt
Ein rosiger Glanz ihr die Züge,
Wie Wiederschein von Gedanken und Träumen,
Die ihr durch die Seele ziehn.

Giebt sie mit Geistern anderer Welten
Sich Flammenzeichen,
Oder erblickt jenseit der Erde
Ungeahnte Geheimnisse,
Daß süßes Erschrecken
Die Wangen ihr röthet?
Doch der Schimmer erlischt;
Höher empor auf den Nebeln fluthet die Nacht,
Und den sterblichen Blicken entrückt,
Mit den Sternen dort oben
Hält die Königin Zwiegespräch.“

Es ist dies ein Beispiel der geistvollen Naturbelebung, welche diese schwunghafte Hymne charakterisirt.

Wenn indeß auch Schack’s Muse den Dissonanzen dieses Erden- und Menschenlebens gerecht wird, so hat sie doch keinen pessimistischen Zug: ihr eigen ist im Gegentheil der freudige Glaube an eine bessere Zukunft der Menschheit, die Ueberzeugung von dem fortschreitenden Gange ihrer Entwickelung. Der Urwelt Seherin, die Sibylle von Tibur, verkündet in rosenfarbenen Visionen den

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Adolf Friedrich Graf von Schack.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Aufgang der großen Sonne, den neuen Gott, den alle Geschlechter ersehnen, und die goldene Zeit. Derselbe zukunftsfreudige Idealismus spricht sich in dem schwunghaften Gedicht „Amerika“ aus, das in Rhythmen von Platen’scher Formvollendung ein wahrhaft glänzendes Colorit zur Schau trägt, und in der Hymne, welche der Sänger dem neuen Jahrhundert weiht und in der er von dem Menschen singt:

„Er, der einst auf Eichenpfählen, in der Seen Grund gerammt,
Dem Geschick, dem grausen, fluchte, das zum Dasein ihn verdammt,
Nun der Elemente Meister, Herrscher über Zeit und Raum,
Herrlich sich erfüllen sieht er alter Seher Wundertraum,
Segelt durch den höchsten Aether hin auf luftbeschwingtem Kahn,
Taucht durch blauer Wogen Zwielicht in den tiefsten Ocean.“

Der gleiche lebensvolle Stil zeichnet die „Weihegesänge“ (1878) aus: sie feiern große Künstler, Dichter und Staatsmänner; sie haben denselben prophetischen Zug; sie besingen die Entwickelung der Natur nach den neuesten erkannten Gesetzen, die Entwickelung der Menschheit zu großen und schönen Zielen; es sind bedeutsame Gedankensymphonien, in denen auch das Naturbild farbenreich illustrirt wird.

„Der gestirnte Himmel über uns“, auf welchen der Königsberger Philosoph so bedeutungsvoll hinwies, spiegelt sich oft in den Schack’schen Dichtungen, während sonst unsere moderne Muse selten genug das Auge zu ihm emporschlägt; überall drängt es unsern Dichter hinaus aus dem engen Kreise der nächsten Interessen:

„Arm ist, wer in seinem engen
Kreis das Ich gefangen hält;
Aber denen, die ihn sprengen,
Blüht und duftet auch die Welt.

Fühle jenes mächt’ge Ganze,
Das uns alle trägt und nährt,
Sonne dich in seinem Glanze,
Wärme dich an seinem Herd!

Auf der kleinen matterhellten
Erde nicht, die jetzt dich bannt,
In dem großen All der Welten
Ist der Menschheit Vaterland.

Und die Wesenschaaren alle,
Von des Abgrunds tiefstem Schlund
Bis zum höchsten Sonnenballe,
Eint ein großer Geisterbund.“

Dieser Gedankenpoesie gehören auch die „Nächte des Orients“ an, keineswegs nur bunte Märchen aus „Tausend und eine Nacht“, eine Mosaik jener farbenprächtig flimmernden Steinchen, von denen die dichterischen Feenpaläste orientalischer [562] Sagen schimmern, sondern ein zusammenhängender Bau, der von einem bestimmten Grundgedanken getragen wird. Das Problem, das den Dichter vor Allem beschäftigt, ist dieses: hat in Bezug auf die Geschichte der Menschheit der Pessimismus Recht oder der Optimismus?

Die Einkleidung dieser „Nächte des Orients“ ist eine sagenhafte. Der Dichter, europamüde, wandert in den Orient, trifft dort einen alten Magier, der ihm ein die Pforten der Vergangenheit erschließendes Elixir giebt: der Dichter sieht die Jahrhunderte an sich vorüberziehen: die phantastische Urwelt, die Zeit der Pfahlbauten, Hellas mit seiner Sclaverei, die Renaissance mit ihren Hexenprocessen und Folterungen, das Rococozeitalter und dasjenige der Revolution. Ali erläutert dem Poeten diese Bilder mit scharf einschneidendem Sarkasmus, und Schack selbst hat die dunkelsten und grellsten Farben gewählt, um das Elend der Menschheit in diesen wechselnden Epochen darzustellen. Desto begeisterter wendet sich der Poet der Zukunft zu, feiert die Friedensära der Menschheit im Psalmen- und Hymnenton und zuletzt in einer Schlußparabase noch das deutsche Reich mit schönem patriotischem Aufschwung.

Zu den aschgrauen und blutrothen Bildern aus allen Zeiten, welche den gleichen Geist der Weltverzweiflung athmen und beträufelt werden mit dem Hohn aus jener Giftblume der Philosophie, welche der weise Ali im Knopfloch trägt, bildet diese Schlußwendung, dieses verklärte Hineinblicken in den Glorienschein der Zukunft einen leider nicht genugsam vermittelten Gegensatz, wenngleich der Glaube an den Fortschritt der Menschheit ein schöner und erhebender ist.

Im Uebrigen halten wir diese Dichtung für das bedeutsamste Werk Schack’s: das Colorit derselben ist meisterhaft, besonders das orientalische; die Landschaft wird zum Culturbild; die Form ist krystallklar und vermeidet alles Dumpfe und Trübe. Schon in seinen „Gedichten“ zeigt sich Graf Schack als ein Landschafter ersten Ranges; bald trifft er das glühende exotische Colorit Freiligrath’s; bald giebt er uns historische Landschaften im Stile eines Claude Lorrain. Keine seiner größeren Dichtungen verleugnet diese Vorzüge.

Die Balladen in den „Gedichten“ zeigen die glänzende Ausführung, wie sie Schiller liebte: sie bilden den Uebergang zu den episch-lyrischen Gedichten. Hier begegnen uns zuerst jene Novellen in Versen, welche Schack als „Episoden“ (1869) bezeichnet. Der poetische Weltwanderer führt uns hier nach Venedig und Constantinopel, nach Damaskus, in das alte Hellas und in die Märchenwelt.

Die dichterisch bedeutendste Episode ist wohl „Giorgione“; sie schildert eine Liebe des alternden Malers, der zu Gunsten seines Lieblingsschülers resignirt. Hier ist echt venetianisches Colorit: man wird an die Bilder von Paolo Veronese erinnert.

Den griechischen „Episoden“ schließt sich als neueste weiter ausgeführte Dichtung das Werk. „Die Plejaden“ an (1881) mit seinen farbenreichen Schilderungen des griechischen Lebens zur Zeit der Perserkriege und des üppigen asiatischen Satrapenthums: ein Milesisches Märchen, in welchem die himmlischen Gestirne leuchtende Sinnbilder sind für ein über den Menschengeschicken waltendes Verhängniß.

„Lothar“ (1872) ist ein älteres Werk Schack’s. Der Held ist ein deutscher Idealist, der, wohin ihn auch das Leben verschlagen hat, den Idealen seiner Jugend, seiner burschenschaftlichen Begeisterung, treu bleibt. An Byron erinnert nur die stimmungsvolle Landschaftsmalerei und der Haß gegen die Machthaber der geisttödtenden Restaurationsepoche, die Weltwanderung, an deren Faden sich eine Reihe von Abenteuern knüpft. Die Schilderungen spanischer Landschaften und Guerillakämpfe, die Wüstenscenen des sechsten und siebenten Gesanges, die Bilder aus Aegypten und Palästina sind Glanzpartien des Werkes, in welchem Reflexion und Schilderung sich in anmuthender Weise ablösen.

Von einer anderen Seite lernen wir den Dichter kennen in dem Roman in Versen „Durch alle Welten“ (1870), einem humoristischen Epos in Octavreimen und im Stil von Byron’s „Don Juan“; doch wie diese Schöpfung des britischen Dichters die tiefpoetische Episode der Haiden enthält, so finden sich auch in Schack’s „Roman in Versen“ glänzende dichterische Partien, wie besonders die zwei Gesänge „Die Pacific-Eisenbahn“ und „Im Urwald“.

Den Humor in dramatischer Dichtung pflegte Graf Schack als Jünger des Aristophanes und Platen’s; von seinen zwei politischen Lustspielen: „Kaiserbote“ und „Cancan“ (1873) ist das erste 1850 in der trübsten Zeit einer nach hoffnungsfreudigem Aufschwung erfolgten Reaction gedichtet, das zweite nach den glänzenden Siegen des Jahres 1870. Jenes schließt, nach Verspottung politischer Unbildung und Unreife, mit der Verheißung einer schöneren Zukunft; dieses athmet einen pathetischen Haß gegen den Kaiser Napoleon den Dritten. Die Form dieser Dichtungen ist krystallklar wie diejenige Platen’s: sie enthalten neben satirischen Studien schwunghafte Parabasen, aber bei dem jetzigen niedrigen Stand der Bühnenkomik haben derartige dramatische Lustspiele höheren Stils leider keine Aussicht aus die weltbedeutenden Bretter zu gelangen.

Gilt doch fast dasselbe von dem ernsteren Drama der Zeitgenossen, das immer mehr von der Bühne zu verschwinden droht und, wenn es einmal dort erscheint, oft von einer unreifen oder böswilligen Kritik, welche gewohnt ist, die größten Nichtigkeiten zu verherrlichen, zu Grabe getragen wird. Auch Graf Schack hat vier Trauerspiele geschrieben: „Heliodor“ (1879), „Atlantis“ (1879), „Die Pisaner“ (1872) und „Timandra“ (1879). Die beiden ersten haben eine geschichtsphilosophische Tiefe, welche sie für das flache Niveau unserer Bühnen unmöglich macht. Das erste läßt mitten im Streit des fanatischen Christen- und Heidenthums, der in die Epoche Alarich’s verlegt ist, als den versöhnenden Gott der Zukunft Eros, den Gott der Menschenliebe verkündigen; das zweite behandelt einen verfrühten Versuch, „in der neuen Welt“, in welcher, wie Schack annimmt, der Schwerpunkt der Entwickelung der Menschheit ruht, das Banner der Freiheit aufzupflanzen. Die in München mit Erfolg aufgeführten „Pisaner“ haben zu ihrem Helden den aus Gerstenberg’s Trauerspiel bekannten „Ugolino“, den Kriegshelden der Pisaner, der von seinem Gegner Ruggieri und von seinen nach dem Frieden mit Genua strebenden Landsleuten in den Hungerthurm geworfen wird. „Timandra“ ist die Mutter des Sparterkönigs Pausanias, der mit seinen verrätherischen Verbindungen mit Persien im Mittelpunkte der Handlung steht. In der Hauptsache ist es derselbe Stoff, welchen Heinrich Kruse in „Das Mädchen von Byzanz“ behandelt hat.

Alle diese Stücke haben künstlerischen Aufbau und Zusammenhalt, nichts Zerfahrenes; sie sind frei von allen Auswüchsen der Shakespearomanie, und die Diction ist edel und schwunghaft, auch dramatisch markig, wie z. B. in dem prächtigen racheathmenden Monolog Ruggieri’s im dritten Act der „Pisaner“.

Das Bild des Dichters Schack erhält seine ergänzenden Farben durch das Bild des Gelehrten; wir können hier nur auf seine grundlegenden Werke über das spanische Drama und die Poesie der Araber verweisen; als meisterhafter Uebersetzer des „Firdusi“ und anderer persischer Dichtungen hat er sich zuerst in weiteren Kreisen bekannt gemacht.

Während die Dreierlichter unserer Miniaturlyriker zum Theil in der dumpfen und stockigen Atmosphäre geistiger Beschränktheit brennen, gehört Graf Schack zu den vielseitig und hochgebildeten Geistern, welche die Aera unserer Classiker in der Gegenwart fortzusetzen berufen sind und die mit ihrer Fackel hinausleuchten auf die Entwickelungsbahn der Menschheit.

Rudolf von Gottschall.