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„Man denkt sich oft das Pabstthum bis zur Reformation hin fast unumschränkt; in der That aber hatten während des 15., im Anfang des 16. Jahrhunderts die Staaten bereits einen nicht geringen Antheil an den geistlichen Rechten und Befugnissen an sich gebracht“ (Ranke, Päbste I, 39). Und zwar geschah dieß nicht blos im schlecht territorialistischen Sinne, sondern nach dem ghibellinischen Prinzip der Berechtigung des Staates in seiner freien Einheit mit der Kirche. Hieran konnte und mußte die Reformation anknüpfen; sie hat dieß aber nicht blos in äußerlicher Weise gethan, sondern kraft ihres evangelischen Prinzips hat sie das ganze Verhältniß in seiner Wurzel umgestaltet. Der Kaiser hatte der Kirche, wie schon Augustin lehrte, das brachium saeculare zu leihen, als ihr Advocat sie in seinen Schutz und Schirm zu nehmen und gegen Häresie und Schisma zu vertheidigen. In welcher Weise dieß geschehen sollte, hatte aber allein die Kirche d. h. der Pabst zu entscheiden; von seinem Urtheil war die weltliche Macht abhängig und hatte nach demselben zu verfahren. Der Staat war somit der Scherge der Kirche. Durch das Evangelium wurden auch die Fürsten mündig und erhielten ein selbständiges Urtheil in geistlichen Dingen. Sie erkannten im Evangelium die Wahrheit der Kirche; ihre Schirmpflicht gegen die Kirche wurde unabhängig vom Urtheilsspruch der Hierarchie und verwandelte sich in eine Schutzpflicht gegen das Evangelium; diese selbst aber mußte in höherem Maße, aber zugleich auch in reinerer Weise als bisher bei der Geltendmachung des Grundsatzes vom allgemeinen Priesterthum auch für die Fürsten, bei der höheren Würde, mit welcher das obrigkeitliche Amt im Gegensatz zu der päbstlichen Doctrin bekleidet wurde, bei dem Cessiren der ordentlichen kirchlichen Gewalten, zu einer Ordner- und Regiergewalt in der Kirche werden. So erscheint die neue kirchliche Ordnung nicht als etwas absolut Neues; die Reformatoren haben vielmehr die eine Seite des damals gültigen Kirchenrechts, die Kirchenadvocatie, nachdem die andere, die allerdings unbedingt überwiegende, die Hierarchie, für sie untauglich geworden war, aufgegriffen und sie gereinigt und geläutert durch das evangelische Prinzip dem Dienst der Kirche zugewandt. Die höchste Auctorität bei all dem, auch bei Schaffung neuer kirchlicher