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bedient, mit andern Worten, Justin sei Gnostiker gewesen. Aber das ist er nicht; er redet von den teuflischen Blasphemien der Gnostiker und hat gegen sie mit aller Macht gestritten. Er ist auch nach v. E.’s Meinung trotz seiner vielfachen Berührungen mit dem Gnosticismus nicht Gnostiker, sondern er ist, obwohl Heide in seiner ganzen Denkweise, doch Christ, Justin ist Christ und Heide zugleich (S. 485); er hat, obwohl er nun einmal kein Verständniß hat für die religiösen Grundgedanken des Christenthums (S. 167), obwohl er mit allen Fasern seines Wesens im Heidenthum wurzelt, obwohl er als Heide, als natürlicher Mensch denkt und spricht (S. 484. 485), die religiös-sittliche Denkweise und die christliche Weltanschauung im Prinzipe sich angeeignet (S. 486); er ist Christ nicht blos der Gesinnung und dem unklaren Gefühle nach, sondern er hat auch durch den Glauben an den Sohn Gottes die Weisheit der Welt im Prinzip überwunden (S. 487). Es ist nun nicht mehr noth, gegen den Herrn Verf. zu streiten; er nimmt in den angeführten Worten im Grunde genommen alles vorher Erwiesene selbst wieder zurück. Das widerspruchvolle Bild, das v. E. von Justin entwirft, hebt er selbst, wenigstens einigermaßen, dadurch auf, daß seine Schrift, wir möchten sagen zu unserer Freude, mit einem großen Selbstwiderspruch endet. Wer ein wirklicher Christ nach allen Seiten hin ist, nicht blos in Gesinnung und Gefühl, wer im Glauben an Christum allen Gedanken und Willensbewegungen eine andere Richtung gegeben hat, was Andere und auch wir von Justin glauben, und was v. E. S. 486 f. selbst ihm zugesteht, der kann nicht mehr in all dem, was er redet und denkt, von der heidnischen Weltanschauung abhängig sein, der kann das Christenthum, noch dazu unbewußt, nicht wurzelhaft umsetzen und theilweise in sein Gegentheil verkehren.

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 Aber freilich steht es nur so, daß zwei Behauptungen, die einander gegenseitig aufheben, ohne Vermittlung neben einander gestellt sind. Der Heide kann nicht Christ sein, und der Christ nicht Heide sein. Und wenn auf der letzten Seite der Glaube an Jesus Christus als den Sohn des einen und wahren Gottes als das Entscheidende hingestellt wird, so muß dem entgegengehalten werden, daß das ganze Buch darauf ausgeht, nachzuweisen, daß Justin unter Glaube und unter Sohn Gottes etwas anderes versteht als Schrift und Kirche. Wenn nach Justin’scher Anschauung Christus

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/56&oldid=- (Version vom 1.10.2017)