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Leben, Lehre und Tod, obwohl er sich in derselben entschieden zum Glauben an den Gottmenschen bekennt, S. 120 Justin’s Aeußerung über das Christsein des Sokrates ausdrücklich gut geheißen, von Hamann’s starken Worten in seinen sokratischen Denkwürdigkeiten und Zwingli’s Urtheil über edle Heiden abgesehen. Wir sind weit entfernt, das Irrthümliche abzuleugnen. Aber diese Parallelen aus so später Zeit beweisen um so mehr, wie unberechtigt es sei, aus den übereilten Aeußerungen eines Mannes, der zuerst ein nicht so leicht zu lösendes Problem berührt hat, Schlüsse auf dessen Grundanschauung vom Christenthum zu ziehen.

 Am wenigsten ist aus einzelnen gleichlautenden Worten und Wendungen zu folgern; diese erklären sich leicht aus der Coincidenz mancher Vorstellungen in Folge des vorhin angegebenen, dem Christenthum zugewandten Charakters des klassischen Alterthums. Wenn Justin z. B. den Zustand der Seligkeit mit Worten der griechischen Philosophie (S. 483) zu bezeichnen pflegt, so stimmen diese Worte zugleich sehr genau mit Offenb. Joh. 21, 3; daraus ist doch nicht zu entnehmen, daß Justin heidnische Anschauungen sich angeeignet, sondern daß er christliche Ideen in heidnische Anklänge an das Christliche gekleidet und diesen dadurch zur vollen Wahrheit verholfen hat. Manche Parallelen können auch rein zufällig sein und beweisen nur, daß auch im Heidenthum Wahrheit war. So redet Justin und Plato gleicherweise von der Nachahmung Gottes; davon haben aber auch der Herr und seine Apostel gesprochen. Was er aber wirklich aus dem heidnisch philosophischen Sprachschatz aufnahm, hat er theils geradezu umgeprägt, wie den λόγος σπερματικός, theils hat er es mit dem specifisch christlichen Inhalt gefüllt. Wenn er Gott den Vater des Alls nennt, so meint er es doch anders, als die heidnischen Philosophen; Justin hat in seinem Schöpfungsbegriff den Dualismus und Emanatismus überwunden und betrachtet die Schöpfung durchaus als freien Akt göttlicher Macht und Güte. Nicht Rückbildung in das Heidenthum, sondern Einbildung und Umbildung in das Christenthum ist mit all dem gegeben.

 Damit ist durchaus nicht geleugnet, daß in der Theologie Justin’s genug Reste heidnischer Vorstellungen sich finden; seine Theologie hat vielfach Fremdartiges, Bizarres, Irrthümliches aufgenommen; auf die Anthropologie hat die Stoa, auf die Christologie die philonisch-

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/64&oldid=- (Version vom 1.10.2017)