Seite:Adolf von Stählin - Justin der Märtyrer.pdf/65

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

alexandrinische Weisheit vor Allem trübend eingewirkt. Aber gleichwohl ist Justin nicht blos durch und durch Christ, sondern er ist im Grund und Wesen auch durchaus christlicher Theologe. Daß der erste Theologe auch Fehlgriffe machen mußte, sollte sich doch von selbst verstehen; der erste Theologe verdient aber auch unsere ganze Bewunderung, wenn wir sehen, mit welcher Geistesbeweglichkeit er fast alle theologischen Probleme berührt und wie er auf die Lösung nicht weniger mit Umsicht und Scharfsinn eingeht. Seine Theologie bewahrt sich ihren ökumenischen Charakter dadurch, daß Christus ihr großer, allbeherrschender Mittelpunkt ist. Christi Person ist die Frage des Christenthums aller Zeiten; mit Christi Person beginnt der theologische Proceß in Justin. Die göttliche Herrlichkeit Christi hat er mit aller Entschiedenheit und Geistesenergie Juden und Heiden gegenüber behauptet. Das Kreuz ist ihm das Zeichen der Macht und des Sieges seines Herrn. Diese Lebensmacht schaut er in einer neuen Lebensschöpfung mitten in einer von dämonischen Mächten geknechteten Welt, in der auf dem ganzen Erdkreis aufblühenden Gemeinde Gottes. Er hält eine große Umschau über die Wege und Thaten Gottes aller Zeiten, lebt und webt mit vollster, eigenster Ueberzeugung in den Thatsachen des Heils und schaut deshalb mitten im Drange der Verfolgung in unerschütterter Hoffnung auf den ewigen Sieg und Triumph des erhöhten Christus über alle feindlichen Gewalten. Der Gott, an den er glaubt und den er bekennt, ist nicht die „personificirte Substanz“, sondern der Gott des alten und neuen Bundes, der Gott des Wunders und der Offenbarung, der Gott des Heils und der Gnade. Schöpfung, Erlösung und Wiederherstellung aller Dinge schaut Justin in ächt christlicher und biblischer Harmonie.

 Er steht mitten in der Kirche und theilt ihren Glauben. An den Gemeindeglauben knüpft seine Theologie durchaus an, ihm dient sie. Bei allem Eifer und aller Inbrunst, mit welcher er diesen Glauben gegen die offenen Gegner wie diejenigen, welche den Christennamen borgen, um unter seiner Hülle außer- und widerchristlichen Spekulationen nachzugehen, in Schutz nimmt, bewahrt er sich doch große Milde gegen schwache Glieder, auch solche, die noch am Gesetz Mosis hangen und zum Glauben an die vorweltliche Gottessohnschaft Christi nicht durchgedrungen sind.

 Justin war ein geheiligter Christ. Dies und eine ungeheiligte,

Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/65&oldid=- (Version vom 1.10.2017)