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lebendigen Glauben den gemeinschaftlichen Pulsschlag haben; die Auffassung der Kirche als geschichtlich-idealer Macht, deren Anfang und Gründung von der Gegenwart nicht durch eine „öde Fläche“ getrennt ist, sondern die sich trotz aller Verirrungen in lebendiger Kontinuität bewegt; die Betonung des im kirchlichen Bekenntnis niedergelegten Gemeinglaubens als der Basis der protestantischen Theologie; die gänzliche Umgestaltung der letzteren vom Prinzip der Rechtfertigung aus; die Nothwendigkeit der Reinerhaltung der Prinzipien der Reformation; die Verhüllung dieser durch den späteren protestantischen Scholastizismus, welcher „die in den Bekenntnisschriften der Kirche aufgestellten Dogmen nicht als Basis, sondern vollendeten Abschluss aller dogmatischen Erkenntnis von nicht bloß relativ-kirchlicher, sondern absolut giltiger Autorität“ betrachtete; die gesunde Reaktion des Pietismus hiergegen, der in Spener „auf den schrecklichen Abfall vom principio der Schrift“ hinwies, „wenn manche von dieser nur gelten lassen wollen, was gerade iisdem verbis in den libris symbolicis und gemeiner Lehr befindlich ist, ja nicht diese aus der Schrift, sondern die Schrift aus denselben und nach ihrer Norm zu erklären suchen“, was Harleß wie in weissagender Warnung im besonderem Nachdruck hervorhebt – diese Gedanken begegnen uns in der Encyklopädie; sie beweisen, daß Harleß in seinem Lebensabriss richtig sagte, sein Kampf habe weniger der Sicherung der Lehrfrüchte und Lehrformeln, als der der gesunden Wurzeln der lutherischen Kirche gegolten. Es ist der Geist einer gesunden, in der Schrift wurzelnden, von der Geschichte getragenen, nichts weniger als engen und eingeschränkten Kirchlichkeit, welche aus der Encyklopädie uns entgegentritt. Manche Ausfürungen, wie die friedliche Zusammenstellung lutherischer und reformirter Theologen, wo es sich um die Darstellung des heilsamen Einflusses der Reformation auf die Prinzipien der Exegese handelt, haben, wie uns Harleß selbst berichtet, bei manchen Lutheranern schon damals Anstoß erregt.

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 Harleß „Christliche Ethik“ endlich, one Zweifel sein bedeutendstes Werk, war die erste theologische Ethik des Jarhunderts, welche ebenso den wissenschaftlichen wie den christlichen Anforderungen entspricht. Schleiermachers „Christliche Sitte“ erschien erst

Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Stählin: Löhe, Thomasius, Harleß. J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig 1887, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_L%C3%B6he,_Thomasius,_Harle%C3%9F.pdf/94&oldid=- (Version vom 31.7.2018)