Boden knieend, streifte der Kaiser mit einem Tuch über die Füße der Greise hinweg, nachdem der ihm assistierende Priester aus einer Kanne scheinbar Wasser darüber gegossen, und so rutschte er vom ersten bis zum zwölften Pfründner, während die Kaiserin – die man sonst nur so majestätisch hochaufgerichtet zu sehen bekommt – in derselben demütigen Stellung, in welcher sie ihre gewohnte Anmut übrigens nicht verließ, die gleiche Prozedur an den zwölf Pfründnerinnen vornahm. Die begleitende Musik, oder, wenn man will, den erklärenden Chor, bildete das gleichzeitig vom Hofburgpfarrer vorgelesene Evangelium des Tages.
Gern hätte ich auf einige Augenblicke mitempfinden mögen, was in dem Geiste dieser Alten vorging, während sie so dasaßen, in der seltsamen Tracht, von einer glänzenden Menge angegafft, den Landesvater, die Landesmutter – Ihre Majestäten – zu ihren Füßen … Wahrscheinlich wäre es gar keine klare Empfindung gewesen, die ich da nachgefühlt hätte, wenn mir der gewünschte momentane Bewußtseinstausch gewährt worden wäre, sondern ein verwirrter, geblendeter Halbtraum, ein zugleich frohes und peinliches, verlegenes und feierliches Gefühl, ein vollständiges Stillstehen der Gedanken in den ohnehin unwissenden und altersschwachen armen Köpfen. Das einzige Wirkliche und Faßbare an der Sache mochte den guten Alten nur die Aussicht auf das rotseidene Beutelchen mit den dreißig Silberstücken sein, welches jedem von Allerhöchster Hand umgehängt wird und auf den Korb voll Speisen, welchen man ihnen auf die Heimfahrt mitgibt.
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. Dresden/Leipzig: E. Pierson’s Verlag, 1899, Band 1, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/137&oldid=- (Version vom 31.7.2018)