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uns zur Aussage gebracht werden. „Es giebt Erscheinungen, die in den Vorstellungskomplex des Verstandes gar nicht ohne Symbol eingereiht werden können.“[WS 1]

Zwei Hauptpunkte sind zunächst festzustellen, bevor wir das Selbstzeugnis Jesu untersuchen: Erstlich, er wollte keinen anderen Glauben an seine Person und keinen anderen Anschluß an sie als den, der in dem Halten seiner Gebote beschlossen liegt. Selbst im vierten Evangelium, in welchem die Person Jesu oftmals über den Inhalt des Evangeliums hinausgehoben erscheint, ist doch der Gedanke noch scharf formuliert: „Liebet ihr mich, so haltet meine Gebote.“[WS 2] Er hatte schon selbst während seines Wirkens erfahren müssen, daß Etliche ihn verehrten, ja ihm vertrauten, aber sich um den Inhalt seiner Predigt nicht kümmerten. Ihnen hat er das strafende Wort zugerufen: „Es werden nicht alle, die zu mir ‚Herr, Herr‘ sagen in das Himmelreich kommen, sondern nur die, welche den Willen meines Vaters thun.“[WS 3] Also lag es ganz außer seinem Gesichtskreise, unabhängig von seinem Evangelium eine „Lehre“ über seine Person und seine Würde zu geben. Zweitens, den Herrn Himmels und der Erde hat er als seinen Gott und Vater, als den Größeren, als den allein Guten bezeichnet. Er ist gewiß, alles, was er hat und was er ausrichten soll, von diesem Vater zu haben. Zu ihm betet er, seinem Willen ordnet er sich unter: in heißem Ringen sucht er ihn zu erforschen und zu erfüllen. Ziel, Kraft, Einsicht, Erfolg und das harte Müssen – alles kommt ihm vom Vater. So steht es in den Evangelien; da ist nichts zu drehen und zu deuteln. Dies empfindende, betende, handelnde, ringende und leidende Ich ist ein Mensch, der sich auch seinem Gott gegenüber mit anderen Menschen zusammenschließt.

Diese beiden Erkenntnisse ziehen gleichsam die Grenzlinien, um das Gebiet richtig zu umschreiben, auf welchem das Selbstzeugnis Jesu liegt. Positiv ist für dasselbe freilich noch nichts gewonnen. Wir fassen es aber alsbald in seinem innersten Kerne, wenn wir die beiden Selbstbezeichnungen Jesu näher betrachten: Sohn Gottes und Messias (Davidssohn, Menschensohn).

Jene Bezeichnung, mag sie auch ursprünglich messianisch gedacht sein, liegt heute unserem Verständnis sehr viel näher als diese; denn Jesus selbst hat dem Begriff „Gottessohn“ einen Inhalt gegeben, durch den er fast aus dem messianischen Schema herausfällt oder doch zu seinem Verständnis dieses Schemas nicht notwendig

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Das Zitat hat Anklang an Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Gesammelte Schriften, 1. Abt.: Werke, Bd. 5, Berlin 1913, S. 351. Dort lesen wir: „Alle Hypotypose (Darstellung, subiectio sub adspectum) als Versinnlichung ist zwiefach: entweder schematisch, da einem Begriffe, den der Verstand faßt, die correspondirende Anschauung a priori gegeben wird; oder symbolisch, da einem Begriffe, den nur die Vernunft denken und dem keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann, eine solche untergelegt wird, mit welcher das Verfahren der Urtheilskraft demjenigen, was sie im Schematisiren beobachtet, bloß analogisch ist, d. i. mit ihm bloß der Regel dieses Verfahrens, nicht der Anschauung selbst, mithin bloß der Form der Reflexion, nicht dem Inhalte nach übereinkommt.“
  2. Joh 14,15.
  3. Mt 7,21.
Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 080. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/084&oldid=- (Version vom 30.6.2018)