Muhamed’s Jünger von ihrem Propheten nicht geredet! Es genügt auch nicht, zu sagen, man habe die messianischen Prädikate einfach auf Jesus übertragen, und von der erwarteten Wiederkunft in Herrlichkeit aus, die ihre Strahlen rückwärts warf, sei alles zu erklären. Gewiß, in der sicheren Hoffnung auf die Wiederkunft sah man über die „Ankunft in Niedrigkeit“[WS 1] hinweg; aber daß man diese sichere Hoffnung zu fassen und festzuhalten vermochte, daß man trotz Leiden und Tod in Ihm den verheißenen Messias erblickte und wie man in und neben dem vulgären messianischen Bilde Ihn als den gegenwärtigen Herrn und Heiland empfunden und ins Herz geschlossen hat – das ist das Erstaunliche! Und hier eben ist es der Tod „für unsre Sünden“[WS 2] und ist es die Auferweckung gewesen, die den an der Person gewonnenen Eindruck befestigten und dem Glauben den sicheren Halt boten: er ist als ein Opfer für uns gestorben, und er lebt.
Vielen sind heute diese beiden Stücke sehr fremd geworden, und sie stehen ihnen teilnahmslos gegenüber – dem Tode, denn wie kann man einem einzelnen Ereignis dieser Art eine solche Bedeutung beimessen? der Auferweckung, denn etwas Unglaubliches wird hier behauptet.
Es ist nicht unsre Aufgabe, jene Beurteilung und diese Vorstellung zu verteidigen, wohl aber ist es Pflicht des Historikers, beide so vollständig kennen zu lernen, daß er die Bedeutung nachzuempfinden vermag, die sie gehabt haben und noch haben. Daß jene Stücke für die Urgemeinde Hauptstücke gewesen sind, hat noch niemand bezweifelt; auch Strauß hat es nicht in Abrede gestellt, und der große Kritiker Ferdinand Christian Baur hat anerkannt, daß sich die älteste Christenheit auf dem Bekenntnis zu ihnen auferbaut hat. Dann muß es möglich sein, ein nachempfindendes Verständnis für sie zu gewinnen, ja vielleicht noch mehr: wenn man in die Tiefe der Religionsgeschichte eindringt, so erkennt man das an den Wurzeln des Glaubens liegende Recht und die Wahrheit von Vorstellungen, die an der Oberfläche so paradox und unannehmbar erscheinen.
Wir betrachten zunächst die Vorstellung, der Tod Jesu am Kreuz sei ein Opfertod gewesen. Gewiß, wenn wir in äußerlichen oder formalen Spekulationen den Begriff „Opfertod“ erwägen wollten, wären wir bald am Ende und jedes Verständnis würde aufhören;
Anmerkungen (Wikisource)
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 098. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/102&oldid=- (Version vom 30.6.2018)