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Walther Kabel: Das Tagebuch eines Irren (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9)

nur zu bald erkennen mußte, lief eine Träne über die Wangen, die er schnell verstohlen fortwischte. Sein Blick hellte sich erst wieder auf, als sein Kleiner jetzt den Onkel zu begrüßen kam, und der kleine Kerl durch sein kindliches Geplapper über das Peinliche dieses Wiedersehens hinweghalf, zuweilen dann sogar bei einem unfreiwilligen Scherzwort des Kindes ein glückliches Lächeln um die Lippen des jungen blassen Weibes spielte.

Als eine halbe Stunde später ein Dienstmann die Koffer des Gastes brachte, begann dieser sogleich mit dem Auspacken. Hans, dessen heiteres, von einem blonden Spitzbart umrahmtes Gesicht und offenes ungekünsteltes Wesen ihn überall schnell beliebt machte, hatte von seinem Vater eine fast pedantische Ordnungsliebe geerbt, die ihn auch heute zwang, seine Kleider und Wäschestücke mit einer beinahe altjüngferlichen Sorgfalt in die Schränke zu bergen. Nachdem er sich dann in seiner kleinen Stube häuslich eingerichtet hatte, kam er wieder auf die Veranda zurück und legte ein dickes Buch, dessen grauer, verschossener Pappeinband mit den abgegriffenen Ecken ein ehrwürdiges Alter verriet, beinahe feierlich vor Hilgener auf den Tisch.

„Ich habe dir,“ sagte er, „hier etwas Besonderes mitgebracht, Fritz. Du bist ja leidenschaftlicher Sammler von allerhand Raritäten, und dieser Foliant hier ist nichts anderes als – das Tagebuch eines Irren.“

Der Ingenieur blickte seinen Schwager zweifelnd an.

„Dieses Tagebuch ist auf eine merkwürdige Weise in meinen Besitz gelangt. Ich hatte unter den Kranken unserer Anstalt in meinem Revier einen gewissen Friedrich Meinert, der völlig harmlos war und nur an der fixen Idee litt, daß er einst irgendwo in Afrika ein Kaiserreich gegründet habe und nur aus

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Walther Kabel: Das Tagebuch eines Irren (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1908, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Tagebuch_eines_Irren.pdf/23&oldid=- (Version vom 31.7.2018)