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Walther Kabel: Das Tal der Tränen. In: Neues Deutsches Familienblatt, Jahrgang 1908, Heft 27–34, S. 209–210, 217–218, 225–226, 233–234, 241–242, 257–259, 265–266, 273–275

bei dem Kaufabschluß anwesend waren. Besinnst du dich noch auf irgend jemanden, der den Verhandlungen beiwohnte?“

Walter zögerte etwas mit der Antwort. Und als er jetzt zu dem Mädchen hinsah, dessen Vater allein etwas von den seinerzeit getroffenen Abmachungen wissen konnte, bemerkte er, wie ihre angstvollen Augen so bittend den seinen begegneten. Er stutzte unwillkürlich, und ohne sich eigentlich Rechenschaft darüber ablegen zu können, warum er William Pickers Person möglichst aus dem Spiel lassen wollte, entgegnete er ausweichend: „Zeugen? Damit sieht’s schlimm aus! Du weißt ja, wie in diesen Gegenden die Landkäufe abgeschlossen werden. Meist ganz formlos, sozusagen auf Treu und Glauben. Und so war’s auch vor zwei Jahren der Fall, als ich mir diese Mine in dem Gasthause von Mias Vater eigentlich aufschwatzen ließ. Aber das eine kann ich dir schon heute versichern: Freiwillig räume ich diesen Platz nicht, der mir ans Herz gewachsen ist und dem ich es verdanke, daß ich jetzt wieder sorgenlos in die Zukunft schauen kann. In zwei Jahren harter Arbeit habe ich mir hier ein kleines Vermögen erworben, und wenn schließlich die Mine auch bereits ziemlich stark abgebaut ist und ihre Ertragsfähigkeit von Tag zu Tag nachläßt, so wirft sie doch immer noch genug ab, um die Goldwäsche lohnend zu machen. Außerdem glaube ich sicher, daß man bei weiterem Suchen noch eine zweite Ader finden würde, in der das Schwemmgold des einstigen Flußes sich an irgendeiner Stelle abgelagert hat. Bisher hatte ich nur nicht die Zeit, eingehendere Nachgrabungen anzustellen. Ich will aber sofort morgen damit beginnen.“

Richter zündete sich eine seiner dicken, mexikanischen Zigaretten an und blies dann grübelnd zierliche Ringelchen in die merklich abgekühlte Abendluft.

„Alles ganz schön, lieber Fritz,“ meinte er bedächtig. „Aber wenn nun das Bezirksgericht den beiden Halunken glaubt und du hier sozusagen ausgewiesen wirst, was dann? Mit Gewalt wirst du dich hier nicht halten wollen,“ setzte er lächelnd hinzu, „trotzdem sich dieses stille Paradies mehr wie gut verteidigen ließe. Na, vorläufig ist’s ja noch nicht so weit! Wir wollen erst einmal abwarten, was deine Herren Gegner unternehmen werden. Vielleicht findet sich noch irgendein Ausweg, der dir den Ärger einer Einmischung der nicht so ganz einwandfreien kalifornischen Justiz erspart. Jedenfalls verspreche ich dir, daß ich mich um die Angelegenheit kümmern werde. Denn mit derlei Gesindel, wie diese Herren Burns und Wilson es sind, verstehe ich besser umzugehen wie du.“ Dann wandte er sich an Frau Ellen, die bisher schweigend mit verdüsterter Miene zugehört hatte. „Also machen Sie sich keine überflüssigen Sorgen, Frau Walter. Das Schlimmste, was Ihnen passieren kann, ist, daß Sie sich eine neue Heimat suchen müssen. Und wenn Ihnen dies Tal auch lieb geworden sein mag, ewig hätten Sie sich doch nicht in dieser Einsamkeit vergraben, nicht wahr? Fritz hat ja jetzt wieder die Mittel, um etwas anderes anfangen zu können. Und in Kalifornien gibt’s, Gott sei Dank, noch genug unbebautes Land, auf dem ein paar strebsame Menschen vorwärts kommen können.“ Trotzdem nickte die blonde Frau traurig vor sich hin. „Sie wissen nicht, lieber Freund, welch glückliche, ruhige Tage wir hier verlebt haben. Mir würde es sehr, sehr schwer fallen, dieses stille Fleckchen Erde zu verlassen. Fritz hatte ja auch die Absicht, das Land nach dem Kanal hin anzukaufen und wieder den Farmbetrieb aufzunehmen, wenn die Goldwäscherei nicht mehr ergiebig genug sein sollte. Und all diese schönen Zukunftspläne werden uns nun zerstört!“

Der Hüne mit dem gutmütigen, so vertrauenerweckenden Gesicht war plötzlich sehr ernst geworden.

„Von diesem Plane, dort in der Niederung mit Ackerbau zu beginnen, würde ich vorläufig ganz entschieden abraten,“ sagte er bestimmt, indem er seine Worte mehr an Walter als Frau Ellen richtete. „Ich bin von La Pax[ws 1] gestern mit einem Dampfer den Fluß heraufgekommen und habe mich und meinen Cäsar an der Abzweigung des Kanals ans Lund setzen lassen. Und da habe ich mir einmal dieses echt amerikanische Pfuschwerk von Wasserstraße angesehen. Gewiß, man hat einen Damm in den Kolorado hinausgebaut, um die Hauptströmung an der Mündung vorbeizulenken und auch eine sogenannte Stauanlage geschaffen, die vielleicht tausend Quadratmeter groß sein mag und nur soviel Wasser als nötig in den Kanal einfließen läßt. Aber dieses Becken liegt auf der Uferhöhe, und der nach Süden zu, nach hierhin aufgeschüttete Erdwall ist so schwach, daß bei plötzlich eintretendem Hochwasser und dadurch verstärktem Druck sowohl der Schutzdamm als auch der Erdwall des Staubassins nur zu leicht weggedrückt werden können. Dann würde sich eine ungeheure Flutwelle in diese Ebene ergießen und alles mit sich fortreißen. Ich für meine Person begreife den Leichtsinn der Unternehmer nicht, die in ganz gewissenloser Weise direkt mit Menschenleben spielen!“

(Fortsetzung folgt.)

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Plax
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Das Tal der Tränen. In: Neues Deutsches Familienblatt, Jahrgang 1908, Heft 27–34, S. 209–210, 217–218, 225–226, 233–234, 241–242, 257–259, 265–266, 273–275. W. Kohlhammer, Stuttgart 1908, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Tal_der_Tr%C3%A4nen.pdf/10&oldid=- (Version vom 31.7.2018)