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Walther Kabel: Das Tal der Tränen. In: Neues Deutsches Familienblatt, Jahrgang 1908, Heft 27–34, S. 209–210, 217–218, 225–226, 233–234, 241–242, 257–259, 265–266, 273–275

Das Tal der Tränen.
Erzählung nach einer wahren Begebenheit von Walter Kabel-Langfuhr.
(Fortsetzung.)

Als der hochgewachsene Mann mit dem saubergepflegten Schnurrbart und den übermütigen, lebensfrohen Augen wieder zu den Frauen trat, verstummte die Unterhaltung plötzlich. Erst nach einer Weile begann Frau Walter, indem sie ihren Gast traurig anschaute: „Zwei Jahre haben wir hier in Ruhe und Frieden gelebt, hatten die letzte entbehrungsreiche Zeit fast vergessen und nun stellen sich plötzlich wieder die Sorgen ein. Ja, ja, lieber Richter, Sie sehen mich so erstaunt: Unsere kleine Mia hat uns schlechte Nachrichten überbracht, zum erstenmal,“ fügte sie liebevoll hinzu und legte ihren Arm vertraulich um die schlanke Taille der neben ihr Sitzenden. – „Schlechte Nachrichten? Wie soll ich das verstehen?“ fragte Richter mitfühlend. „Es wird wohl nicht so schlimm werden,“ fuhr er beruhigend fort. „Damen sehen ja meist die Dinge etwas zu schwarz, wenigstens die, denen das Leben schon manche trübe Erfahrung gebracht hat.“

„Ja hoffentlich!“ sagte die blonde Frau müde, und in ihrer Stimme lag es wie große Mutlosigkeit.

„Aber liebe Frau Walter,“ sagte der Hüne da energisch und streckte ihr herzlich die Hand über den Tisch hin, „bedenken Sie doch, daß wir jetzt hier vier starke Männerarme sind, die zu Ihrem Schutze wohl ausreichen werden! Fürchten Sie sich etwa vor den Pferdedieben, die die Gegend unsicher machen? Dann seien Sie überzeugt, das Gesindel wird sich in dieses Tal nie hineinwagen. Vor einer gut gezielten Büchsenkugel haben die Burschen stets einen ganz gehörigen Respekt!“

„Das ist es nicht, lieber Richter. Es handelt sich um anderes, um einen Gaunerstreich, den man uns spielen will. Doch besser ist’s, wenn ich Fritz rufe und wir dann zusammen die unangenehme Geschichte besprechen.” Sie erhob sich schnell und schritt dem Wohnhause zu, an dessen Tür ein einfaches Jagdhorn hing, dem sie jetzt ein langgezogenes Signal entlockte. Dann kam sie zurück und setzte sich wieder neben Mia, die noch immer nicht aufzusehen wagte und nervös die Quasten der Tischdecke durch die Finger gleiten ließ.

In des einfachen Naturkindes ehrlichem Herzen hatte sich vorhin, als sie der Freundin von dem Vorhaben der beiden früheren Besitzer des Tales der Tränen erzählte, ein harter Kampf abgespielt, da sie den eigenen Vater nicht in den Augen des Ehepaares herabsetzen wollte und andererseits auch fühlte, daß sie das Unheil nur durch vollkommene Offenheit abwenden konnte. Doch die Kindesliebe siegte, und sie hatte daher ihren Bericht so vorsichtig gestaltet, als ob Fred Burns und der rote Harry allein an dem Plane beteiligt wären. Ihre Befangenheit steigerte sich noch, als jetzt Fritz Walter, nachdem er seinen Arbeitsrock mit einer graugrünen Jagdjoppe vertauscht hatte, zu ihnen in die Laube trat und Frau Ellen sie dann aufforderte, das eben Erzählte nochmals den beiden Männern zu wiederholen. Nur stockend kamen die Worte über ihre Lippen und mehr wie einmal, wenn sie hastig einen Satz änderte, um auch nicht den geringsten Schein eines Verdachts auf den Vater fallen zu lassen, traf sie aus den Augen des blonden Hünen ein langer, forschender Blick. Als Mia geendet, schaute Walter den Freund fragend an. Dieser hatte nach einigen allzu wilden Jahren seine Heimat verlassen, kam dann auf Walters Aufforderung nach Amerika, war zuerst auf dessen Farm tätig und fand nachher nach mancherlei Irrfahrten bei der Polizei in San Franzisko eine ganz gutbezahlte Stellung.

„Was hälst du von der Sache, Ernst,“ meinte Walter verstimmt und strich sich nachdenklich den spitzgeschnittenen, dunklen Vollbart.

Richter zuckte die Achseln. „Wenn die beiden sauberen Genossen sich wirklich auf einen Rechtsstreit um den Besitz dieses Tales einlassen sollten, kommt alles auf die Aussagen der Zeugen an, die

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Das Tal der Tränen. In: Neues Deutsches Familienblatt, Jahrgang 1908, Heft 27–34, S. 209–210, 217–218, 225–226, 233–234, 241–242, 257–259, 265–266, 273–275. W. Kohlhammer, Stuttgart 1908, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Tal_der_Tr%C3%A4nen.pdf/9&oldid=- (Version vom 31.7.2018)