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Walther Kabel: Das Tal der Tränen. In: Neues Deutsches Familienblatt, Jahrgang 1908, Heft 27–34, S. 209–210, 217–218, 225–226, 233–234, 241–242, 257–259, 265–266, 273–275

Das Tal der Tränen.
Erzählung nach einer wahren Begebenheit von Walter Kabel-Langfuhr.
(Fortsetzung.)

An demselben Tage gegen zwei Uhr nachmittags sattelte Mia ihren Pony Alix und wollte sich gerade in den Sattel schwingen, als der dicke Wirt den Hof betrat und ihr etwas erstaunt zurief: „Wie, Mia, in der größten Hitze willst du jetzt ausreiten? Und wohin denn?“

„Zu Walters, Vater. Die Hitze tut mir nichts!“ antwortete sie kurz, hob den mit einem hohen gelben Lederstiefel bekleideten Fuß in den Steigbügel und saß mit kurzem Schwung aus dem Rücken des ungeduldig hin- und hertänzelnden Pferdchens.

In Will Pickers Gesicht war ein argwöhnischer Zug getreten. Er dachte an das Gespräch mit den beiden Freunden, an die heimlich getroffenen Abmachungen, die ja gerade den Besitzer des Tales der Tränen betrafen. Ob Mia etwa gelauscht hatte und die Deutschen nun warnen wollte? Zuzutrauen war ihr’s, da er sehr wohl wußte, daß sie ihn beständig belauerte und ihm schon manches unsaubere Geschäft gestört hatte. Daher sagte er jetzt mit einem prüfenden Blick: „Warst doch erst vorgestern draußen, Mia! Was gibt’s denn so Wichtiges zu besprechen, daß du den stundenlangen Ritt nicht scheust?“

Ein silberhelles, harmlos fröhliches Lachen antwortete ihm. „Wenn du’s denn durchaus wissen willst, Frau Walter hat mir kürzlich durch ihren Mann aus La Pax Stoff zu einem neuen Kleide mitbringen lassen und will’s mir anfertigen, da ich’s nicht recht verstehe. Und heute ist die erste Anprobe. Eigentlich sollte es eine Überraschung für dich werden, Vater, und nun hast du mir die ganze Freude verdorben,“ setzte Sie schmollend hinzu.

Der Alte war vollkommen beruhigt und streichelte ihr nun halb verlegen die kleine Hand, die nachlässig mit den Zügeln spielte.

„Aber abends bist du doch wieder zurück, Mia, nicht wahr?“ meinte er besorgt. „Ich möchte nicht gern, daß du in der Dunkelheit allein durch die Steppe reitest. Seit sie dem Farmer Kollins unlängst wieder drei Pferde gestohlen haben, ist’s mit der Sicherheit hier in der Nähe nicht mehr weit her. Ich argwöhne, daß sich da nordwärts vom Kanal in der Gegend der großen Kakteenfelder eine Buschklepperbande eingenistet hat. Es soll auch morgen in der Gemeindeversammlung eine größere, allgemeine Streife beschlossen werden. Wär’ mir daher doch lieber, wenn du deinen Ausflug um ein paar Tage verschieben würdest.“

Ein verächtliches Lächeln umspielte jetzt des Mädchens frische Lippen. Und indem sie mit dem Zeigefinger gegen den Kolben ihrer kurzen, am Sattelknopf hängenden Winchesterbüchse klopfte, sagte sie selbstbewußt, und ihr kleines Persönchen reckte sich höher: „Sollten jene Strauchdiebe wirklich noch nichts von Mia Pickers sicherer Hand gehört haben, Vater? Ich glaubte, mich kennt man hier im Koloradotal überall, mich und meine Büchse! Und daher geht mir jeder vorsichtig aus dem Wege, der auch sonst noch so Schlechtes im Schilde führen mag. Hab’ ich recht, Vater?“

Ein Schmunzeln ging bei diesen Worten über das rote Gesicht des Dicken und gab den rohen Zügen einen seltenen Ausdruck von zärtlichem Vaterstolz.

„Weiß ich, Mia, weiß ich!“ nickte er eifrig. „Na, dann also frohe Heimkehr, Kind! Und – grüß Walters von mir.“ Das Letzte kam etwas zögernd und schuldbewußt heraus.

Doch das Mädchen schien’s überhört zu haben und trabte schon zum Tore hinaus auf die sandige Straße, vorbei an den niedrigen Häusern von Neuparis der einfachen Balkenbrücke zu, die keine dreihundert Meter von der Stadt über den Kanal führte. Die Maisonne brannte vom wolkenlosen Himmel so heftig herab, daß Mia den einfachen, breitrandigen Strohhut tiefer ins Gesicht zog, um sich besser gegen die sengenden Strahlen zu schützen. Sie saß nach Männerart im Sattel, und ihr schlanker Körper, der jetzt in einen malerischen Anzug gehüllt war, wie ihn die mexikanischen Vaqueros tragen, weite, helle Beinkleider und eine kurze, gestickte Jacke mit breiter Seidenschärpe, folgte den Bewegungen des flinken Ponys mit einer Gewandtheit, die die sichere Reiterin bewies. Als jetzt die harten Hufe des Pferdchens über die Bohlen der Brücken dröhnten, schaute sie auf und sah zu ihrem Erstaunen, daß die trüben Fluten des Kanals in den letzten Tagen so bedeutend gestiegen waren, daß sie weit über die Ränder des künstlich erweiterten früheren Flußbetts reichten und teilweise schon große Ausläufer in das flache Land geschickt hatten, in denen sich jetzt wie in kleinen Seen die Sonne wiederspiegelte. Dann wandte sich Mia im Sattel um und blickte zurück auf die Häuschen von Neuparis, die in einer kleinen Mulde der weiten Ebene lagen und aus deren Schornsteinen friedlich der Rauch in die klare Luft emporstieg, auf die grünen Flächen der sprossenden Saatfelder, die sich, schachbrettartig durchzogen von den helleren Linien der Bewässerungsgräben, zu beiden Seiten des breiten Kanals bis zum Horizont hin erstreckten, wo die Uferberge des Koloradoflusses wie bläuliche Dunststreifen sichtbar wurden.

Ein schnalzender Laut mit der Zunge und Alix setzte sich wieder in Trab. Die Reiterin lenkte jedoch von dem breiten, ausgefahrenen

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Das Tal der Tränen. In: Neues Deutsches Familienblatt, Jahrgang 1908, Heft 27–34, S. 209–210, 217–218, 225–226, 233–234, 241–242, 257–259, 265–266, 273–275. W. Kohlhammer, Stuttgart 1908, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Tal_der_Tr%C3%A4nen.pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)