Manchmal hob sich die schimmernde Fläche, als seufze die See im Traume; dann kräuselte sich ein kleines Wellchen am goldig flimmernden Strand entlang und versank wieder in das lautlose ewige Blau. Am Ufer saßen zwei Menschen. Sie waren beide hoch und kräftig gewachsen und mit weichen Fellen unbekannter Tiere bekleidet; goldblondes Haar hing beiden über die Schultern herab und ihre Augen waren blau und klar und doch so unergründlich tief wie das weite Meer vor ihnen. Über beiden lag ein unendlicher Zauber von Jugend, von Frühmorgen, von Weltenbeginn. Der Mann beugte sich zum Meere und griff nach einer großen, offenen rosa Doppelmuschel, die von einer Welle leise herangespült wurde. Er reichte sie der Frau. Die nahm sie, hob sie über sich in die Höhe, schlang eine Strähne ihres Haares mehrmals zwischen den beiden rosa schimmernden Muschelhälften hindurch und befestigte sie so auf ihrem Kopfe. Dann wandte sie sich lächelnd zu dem Manne. – – Der aber hatte Ihre Züge angenommen, und das Bild der Frau, das sich in seinen Augen spiegelte – war mein eigenes!
Ich wollte mehr und tiefer schauen – doch die Vision entschwand – das blaue Meer ward grau und trübe – die beiden Gestalten versanken.
Ich befand mich wieder in dem dürftigen
Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/219&oldid=- (Version vom 31.7.2018)