nächtlichen Schaufenstern berichtete ich ihr auch mein Erlebnis mit der Dame und der Aufpasserin, die jenes Haus allnächtlich bewachte.
Meine Freundin wollte sofort, daß wir die Aufpasserin besuchen sollten. Wir kamen dann vor jenes Haus, aber wir vermieden die Häuserseite und gingen unter den winterkahlen Bäumen der anderen Straßenseite am Rande eines schwarzen Kanalwassers entlang.
Wir sahen die Frau wieder horchend am Eisengitter des Vorgartens stehen, oben aber in der Villa, deren Tür die Aufpasserin ins Auge gefaßt hatte, waren zwei erleuchtete Fenster.
Meine Begleiterin, die ein sehr feines Gehör besitzt, sagte plötzlich zu mir: „Hören Sie doch, im Hause singt eine Frauenstimme!“
Wir standen hinter einem breiten Baumstamm still, und in den Pausen, die zwischen dem Lärm vorübersausender Autos nur sekundenweise eintraten, hörten wir einen wundervollen Gesang. Dazu die feine Begleitung eines Instrumentes.
Ich hätte die Autos aufhalten mögen, die sich immer wieder an dem Kanal und der Baumreihe entlangstürzten und die mich nur kleine Stücke des großen Liedes auffangen ließen.
Max Dauthendey: Geschichten aus den vier Winden. Albert Langen, München 1915, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Geschichten_aus_den_vier_Winden_Dauthendey.djvu/192&oldid=- (Version vom 31.7.2018)