keine Kirche, keine einzige Glocke, und die Leute fuhren ihre Kinder zur Taufe mit Kähnen auf andere Inseln. Ebenso mußten die Brautpaare und die Leichen oft tagelang auf guten Segelwind warten, um zur Hochzeit oder ins Grab auf die ferne Kircheninsel zu kommen.
Die Insel Koster selbst lag glockenlos in der großen blauen Glocke des Himmels, und der „Heide“, der alte Kapitän, hatte recht, wenn er einmal in der Handelsbude, in dem einzigen Kaufladen, den es auf der Insel gibt, dröhnend auf den Tisch schlug und ausrief:
„Was brauchen wir hier Christentum, wir auf Koster! In alter Zeit waren wir Heiden und Helden. Und jetzt ist uns das Heldentum verboten. Aber Heiden sind wir immer noch im Grunde. Wir zahlen unsere Steuern, und die Sonne scheint nicht schöner, ob wir Christen sind oder Heiden. Und die Makrelen und die Heringe lassen sich so gut fangen von den Heiden, wie von den Christen.“
Und das stämmige Königsgeschlecht von Koster lächelt gutmütig über seinen Stammheiden, über den Kapitän.
Der Sommer war hier früher zu Ende, als man sich in Deutschland vorstellen kann. Und
Max Dauthendey: Geschichten aus den vier Winden. Albert Langen, München 1915, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Geschichten_aus_den_vier_Winden_Dauthendey.djvu/31&oldid=- (Version vom 31.7.2018)