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kleinen Ortes kurz waren und die Leute hier nur wenig mit der Außenwelt in Verbindung standen, so blieb ihm viel Zeit zum rasenden Spiel.

Die Frau des Briefträgers war bei der Geburt des letzten Kindes gestorben, und die zwanzigjährige Tochter mußte die zwölf jüngeren Geschwister erziehen. Der Vater aber wies, so sagte man, jedem Freier, der, angelockt von der Madonnenschönheit der Zwanzigjährigen, sich über die Schwelle wagen wollte, brüsk die Tür.

„Sie hat Pflichten,“ rief er jedem mit italienischem Pathos zu, „Pflichten gegen ihren Vater und ihre zwölf Schwestern, und ich erwürge den mit meinen zehn Fingern, der es wagen sollte, meine Tochter diesen ihren Pflichten abspenstig zu machen.“

Er selbst aber schien keine anderen Pflichten für seine Familie zu fühlen als die, das mutterlose leere Haus mit seinem Klaviergetöse anzufüllen. Er kam sich gewiß wie ein Ritter der Musik vor. Die adligen Räume, die er zufällig, mit seiner ganzen Ärmlichkeit, bewohnen mußte, schienen es ihm angetan zu haben. Die altitalienischen Wappen an den Decken, die griechischen Götter, die dort auf

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Max Dauthendey: Geschichten aus den vier Winden. Albert Langen, München 1915, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Geschichten_aus_den_vier_Winden_Dauthendey.djvu/322&oldid=- (Version vom 31.7.2018)