Aber hartnäckig, weil sie meine Sehnsucht nach Sonne kannte, sagte die Frau:
„Wenn du soviel Respekt vor Koffern hast, möchte ich sie schon gleich ins Meer versenken.“
„Gerade so wie ich mein Giftfläschchen,“ entfuhr es mir. Und nun mußte ich die ganze Geschichte vom Giftfläschchen, das mir wie ein Dämon in der Westentasche saß, und das den Kapitän wie ein Dämon dreißig Jahre lang gefoltert hatte, meiner Geliebten erzählen.
„Das ist ein neuer Grund,“ rief diese erfinderisch aus. „Ich sehe, du und ich, wir werden dieses Giftfläschchen ebensowenig los wie der Heide, der Kapitän. Aber es fällt mir gar nicht ein, deine Liebe mit einer Giftflasche zu teilen. Wir müssen nach Rom und das Gift an der einzigen Stelle der Welt, wo es hingehört und keinen Schaden anrichtet, abliefern.“
„Ja, wenn noch in Rom die alten Römer leben würden,“ meinte ich. „Aber dort sind ja nur Ruinen, wie du selbst immer sagst.“
„Dort ist der heilige Vater! Seiner Heiligkeit drückst du einfach das Fläschchen in die Hand, so wie es der Kapitän dir plötzlich in die Hand gedrückt hat.“
Max Dauthendey: Geschichten aus den vier Winden. Albert Langen, München 1915, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Geschichten_aus_den_vier_Winden_Dauthendey.djvu/33&oldid=- (Version vom 31.7.2018)