Hälfte von dem vergäße, was ich mir tagsüber vornehme. – Rein, als ob der Schlaf alles verwischen würde.
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1. November.
Letztesmal habe ich doch absichtlich nichts über das zweite Phantom niedergeschrieben, und doch verschwindet es nicht. – Gräßlich, gräßlich. – Gibt es denn keinen Widerstand? –
Ich habe doch einmal ganz klar unterschieden, daß es zwei Wege gibt, um mich aus der Sphäre solcher Bilder zu rücken. – Ich habe doch den zweiten eingeschlagen und bin dabei immerwährend auf dem ersten! –
War ich denn damals sinnesverwirrt? –
Sind die beiden Gestalten Spaltungen meines Ichs oder haben sie ihr eigenes unabhängiges Leben?
– – – Nein, nein! – Dann würde ich sie ja füttern mit meinem eigenen Leben! – – – – – Also sind es doch wirkliche Wesen! – Grauenhaft! – Aber nein, ich betrachte sie doch nur als selbständige Wesen, und was man als Wirklichkeit betrachtet, das ist – das ist – – – Herrgott, barmherziger, ich schreibe ja nicht, wie man sonst schreibt. – Ich schreibe ja, als ob mir jemand diktieren würde. – – – – Das muß von der Geheimschrift kommen, die ich immer erst übersetzen muß, ehe ich sie fließend lesen kann. –
Morgen schreibe ich das ganze Buch noch einmal kurrent ab. – Herrgott, steh mir bei in dieser langen Nacht. – – – – – – –
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10. November.
Es sind wirkliche Wesen, sie haben mir im Traum ihren Todeskampf erzählt. – Jesus schütze mich, – ja – Jesus, Jesus! – Sie wollen mich erdrosseln! – Ich habe nachgelesen; – es war die Wahrheit, – Curarin
Gustav Meyrink: Orchideen. München o. J., Seite. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Orchideen_Meyrink.djvu/067&oldid=- (Version vom 31.7.2018)