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und Gefühle auf die betreffenden Rückenmarksabschnitte konzentriert. –

„Dies da Pingala, großer Sonnenstrom,“ nickte bestätigend Akhil Rao, unser Dolmetsch.

Da faßte Oberst Sturt meinen Arm: „Ruhig – – – hören Sie nichts?“

Wir horchten gespannt in der Richtung des Ganges, der, von der kolossalen Statue der Göttin Kala Bhairab verborgen, sich in die Finsternis zog.

Die Fackeln knisterten – sonst Totenstille.

Eine lauernde Stille, die das Haar sträubt, wo die Seele bebt und fühlt, daß etwas geheimnisvoll Grauenhaftes blitzartig ins Leben bricht, wie eine Explosion, und nun unnabwendbar eine Folgen todbringender Dinge aus dem Dunkel des Unbekannten, – aus Ecken und Nischen emporschnellen muß.

In solchen Sekunden ringt sich stöhnende Angst aus dem rhythmischen Hämmern des Herzens – wortähnlich, wie das gurgelnde, schauerliche Lallen der Taubstummen: Ugg–ger, – Ugg–ger, Ugg–ger. –

Wir horchten vergebens – kein Geräusch mehr.

„Es klang wie ein Schrei tief in der Erde,“ flüsterte der Oberst.

Mir schien es, als ob das Steinbild der Kala Bhairab, des Choleradämons, sich bewege: unter dem zuckenden Lichte der Fackeln schwankten die sechs Arme des Ungeheuers, und die schwarz und weiß bemalten Augen flackerten wie der Blick eines Irrsinnigen.

Gehen wir ins Freie, zum Tempeleingang, schlug Hargave vor, es ist ein scheußlicher Ort hier. –


Die Felsenstadt lag im grünen Lichte wie eine steingewordene Beschwörungsformel.

In breiten Streifen durchglitzerte der Mondschein das Meer, einem riesigen, weißglühenden Schwerte gleich, dessen Spitze sich in der Ferne verlor.

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Gustav Meyrink: Orchideen. München o. J., Seite. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Orchideen_Meyrink.djvu/107&oldid=- (Version vom 31.7.2018)