Wir legten uns auf die Plattform zur Ruhe – es war windstill und in den Nischen weicher Sand.
Doch es kam kein rechter Schlaf.
Der Mond stieg höher, und die Schatten der Pagoden und steinernen Elefanten schrumpften auf dem weißen Felsboden zu krötenähnlichen phantastischen Flächen zusammen.
„Vor den Raubzügen der Moguln sollen alle diese Götterstatuen von Juwelen gestrotzt haben – Halsketten aus Smaragden, die Augen aus Onix und Opal,“ sagte plötzlich Oberst Sturt halblaut zu mir, ungewiß, ob ich schliefe. – Ich gab keine Antwort.
Kein Laut als die tiefen Atmzüge Akhil Raos.
Plötzlich fuhren wir alle entsetzt empor. Ein gräßlicher Schrei drang aus dem Tempel – ein kurzes, dreifaches Aufbrüllen oder Auflachen mit einem Echo wie von zerschellendem Glas und Metall.
Mein Bruder riß ein brennendes Scheit von der Wand, und wir drängten uns auf den Gang hinab in das Dunkel.
Wir waren vier, was war da zu fürchten.
Bald warf Hargrave die Fackel fort, denn der Gang mündete in eine künstliche Schlucht ohne Deckenwölbung, die von grellem Mondlicht beschienen in eine Grotte führte.
Feuerschein drang hinter den Säulen hervor, und von den Schatten gedeckt schlichen wir näher.
Flammen loderten von einem niedrigen Opferstein, und in ihrem Lichtkreis bewegte sich taumelnd ein Fakir, behängt mit den grellbunten Fetzen und Knochenketten der bengalischen Dhurgaanbeter.
Er war in einer Beschwörung begriffen und warf unter schluchzendem Winseln den Kopf nach der Art der tanzenden Derwische mit rasender Schnelle nach rechts und links, dann wieder in den Nacken, daß seine weißen Zähne im Lichte blitzten.
Gustav Meyrink: Orchideen. München o. J., Seite. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Orchideen_Meyrink.djvu/108&oldid=- (Version vom 31.7.2018)