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tiefer und schwebt jetzt über einer Landschaft. Er kennt sie gut: Dort der moosbewachsene Grabstein, – auf dem Erdbuckel der kahle Ahorn mit den entblätterten Ästen, die sich wie fleischlose Arme zum Himmel krampfen. Herbstlicher Reif auf dem nächtlichen Sumpfgras.

Das Moorwasser steht seicht im Boden und schimmert durch den Nebel wie ein großes erblindetes Auge.

Sind das nicht Gestalten in dunklen Hüllen, die dort im Schatten des Grabsteines sich sammeln mit blitzenden Waffen und metallfunkelnden Köpfen und Spangen?! Sie lagern sich im Halbkreis zu einer gespenstischen Beratung.

Des Alten Seele durchzuckt ein Gedanke: Der Schatz! Die Schemen der Toten sind’s, die einen vergrabenen Schatz hüten! Und sein Herz stockt vor Habgier.

Er späht hinab von seiner Höhe, – immer näher rückt die Erde, jetzt klammert er sich an den Zweigen des Ahorn an, leise – leise. –

Da. – Ein dürrer Ast biegt sich und ächzt. – Die Toten schauen zu ihm empor. – – – Er kann sich nicht mehr halten und fällt – fällt mitten unter sie.

Sein Kopf schlägt hart auf den Grabstein.


* * *

Er erwacht, und sieht die Moderflecke an der Wand. Keuchend taumelt er zur Türe, die Treppe hinauf mit brechenden Knieen.

Er wirft sich auf das Bett, – – seine zahnlosen Kiefer schlottern vor Furcht und Kälte.

Die rote filzige Decke legte sich um ihn, raubte ihm den Atem, bedeckt ihm Mund und Augen. Er will sich umdrehen und kann nicht, auf seiner Brust hockt ein wolliges scheußliches Tier: die Fledermaus des Fieberschlafs, mit riesigen purpurnen Flügeln, und hält ihn mit ihrer

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Gustav Meyrink: Orchideen. München o. J., Seite. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Orchideen_Meyrink.djvu/145&oldid=- (Version vom 31.7.2018)