diverse: Das Pfennig-Magazin/Heft 1 | |
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(Montbelliard) im Elsaß geboren, welche Grafschaft vor der französischen Revolution 1789 dem Hause Würtemberg gehörte. Cüvier hatte mit Einigen der größten Männer der neuern Zeit einerlei Geburtsjahr; denn das Jahr 1769 sah Napoleon, Alexander v. Humboldt, den Herzog von Wellington, Chateaubriand, Canning, den Vicekönig von Ägypten Mehemed Aly u. A. geboren werden.
Von Jugend auf bemerkte man zwei Eigenschaften an ihm, die man sonst nicht immer vereinigt findet: er war sehr wißbegierig und hatte auch viel Lust zu praktischen Geschäften. Im 14. Jahre sieht man ihn auf der Schule zu Mümpelgard den Vorsitz in einer Schülerversammlung führen, und zu Stuttgart legte er sich auf der Akademie vorzüglich auf Kameralien; indessen hegte er schon in seinem zwölften Jahre eine begeisternde Vorliebe für Büffon’s Naturgeschichte, die er zu seiner Lieblingslektüre machte, und deren Abbildungen er nachzeichnete.
Cüvier war arm, und dieser Umstand gewährte ihm keine großen Aussichten zu einem angesehenen Amte im damaligen Herzogthume Würtemberg. Er war daher genöthigt, Stuttgart zu verlassen, noch ehe er seine akademische Laufbahn daselbst vollendet hatte, um eine Hofmeisterstelle bei einer Familie in der Normandie in Frankreich anzunehmen. In dieser Provinz hielt er sich von 1788 bis 1794 auf, wo er die Gelegenheit benutzte, die Seethiere zu studiren. Er war unermüdet thätig; sein Fleiß war besonnen, er forschte allenthalben den Ursachen nach, und ließ keine wichtige Erscheinung vorübergehen, ohne sich zu fragen, woher sie rühre, und wozu sie nütze. Sein Leben ist eben so reich an politischen Ereignissen, als an naturgeschichtlichen Entdeckungen, und wenige Männer haben sich durch Glück, Fleiß, Ordnung und Genie so hoch empor geschwungen als Cüvier.
Im Jahre 1794 war Cüvier, 25 Jahre alt, noch immer bloßer Hauslehrer in der Normandie, als er durch einen Zufall mit einem damals berühmten Ackerbaukundigen, dem Abbé Tessier, in Bekanntschaft gerieth. Dieser brachte ihn in Verbindung mit mehrern Gelehrten zu Paris, und zwei Jahre darauf war Cüvier im Nationalinstitute schon der College der berühmtesten Männer seinem Zeit. Geoffroy St. Hilaire, der späterhin sein Gegner in der Naturgeschichte ward, trug vorzüglich dazu bei, ihm seine glänzende Laufbahn zu eröffnen. „Ich,“ sagte dieser berühmte Gelehrte bei einer feierlichen Gelegenheit, „habe zuerst das Glück gehabt, die gelehrte Welt auf ein Genie aufmerksam zu machen, das sich selbst nicht kannte.“ „Kommen Sie, schrieb ich ihm, kommen Sie und spielen Sie unter uns die Rolle eines andern Linné, eines andern Gesetzgebers der Naturgeschichte.“
Cüvier hat diese Voraussagung gerechtfertigt. Die Klasse der Würmer war ein wahres Chaos, und hiermit fing Cüvier seine Reformen an. Bei diesen ersten Arbeiten legte er den Grund zu einer ganz neuen Eintheilung. Seine Vorlesungen über die vergleichende Anatomie haben in den Naturwissenschaften eine vollständige Umänderung bewirkt. Die vergleichende Anatomie kann als Einer der merkwürdigsten Charakterzüge unserer Zeit angesehen werden; sie dringt in die Geheimnisse der Schöpfung ein, weiset den verschiedenen Teilen, aus denen die Geschöpfe bestehen, ihre Verhältnisse und ihre Merkmale an, erklärt ihre Lage und ihre Gestalt, und giebt Gelegenheit, nach dem Anblicke eines Knochens, z. B. eines Fußknochens, zu bestimmen, ob das Tier, von welchem diese Trümmer herrührt, von Gewächsen oder vom Fleische lebte. Durch diese Wissenschaft ist der Mensch in den Stand gesetzt, nach den kleinsten Bruchstücken die Ordnung, das Geschlecht, die Art und die Größe der Individuen anzugeben. In der Kenntniß fossiler Knochen war Cüvier einheimisch, und er deckte manche Täuschung auf, der man bisher gehuldigt hatte. Was man für versteinerte Menschenknochen hielt, das wies er als Tierknochen nach.
Cüvier besaß ein ungeheueres Gedächtniß; er merkte die trockensten Dinge, und vergaß nichts wieder, was er sich einmal eingeprägt hatte. Unaufhörlich arbeitete er; selbst im Wagen las und schrieb er, und man wird sich nicht wundern, wenn man hört, daß sich im Staatsrathe allein die Zahl der Sachen, die er zu bearbeiten hatte, jährlich bisweilen auf 10,000 belief.
Aber nicht bloß Naturforscher war Cüvier, sondern er verwaltete auch seit 30 Jahren die wichtigsten Staatsämter. Im Jahre 1807 wurde er zu Einem der sechs Generalinspektoren des öffentlichen Unterrichts ernannt, und hatte die Aufsicht über die Lyceen zu Bordeaux und Marseille. Während seiner Abwesenheit ernannten ihn seine Collegen im Nationalinstitute zum beständigen Sekretär für die Naturwissenschaften. Im Jahre 1808 stattete er dem Kaiser Napoleon den merkwürdigen Bericht über die Fortschritte der Naturgeschichte seit 1789 ab, und wurde von ihm zum Universitätsrathe auf Lebenszeit ernannt. In den Jahren 1808 und 1811 erhielt er den Auftrag, Akademieen in Italien und Holland einzurichten, und ob er schon Protestant war, so wurde er doch 1813 nach Rom geschickt, um daselbst die Universität zu organisiren; hier erhielt er die Nachricht von seiner Ernennung zum Requetenmeister. Nach Napoleon’s Sturze blieb er immer in Staatsdiensten. Im Jahre 1819 wurde er Präsident der Abtheilung des Innern im Staatsrathe; im Jahre 1824 Großmeister der Universität in Hinsicht der Fakultäten der protestantischen Theologie; im Jahre 1827 bekam er die Leitung der Angelegenheiten des nicht katholischen Gottesdienstes, und im Jahre 1831 ward er Pair von Frankreich.
Bei Zusammenkünften in Amtsgeschäften schien er oft mit etwas Anderem beschäftigt, und war immer etwas zerstreut. Wenn er den Vorsitz führte, so las er bisweilen ein Buch, das mit den zu verhandelnden Geschäften gar nichts zu thun hatte; er sprach stets erst zuletzt; allein oft hatte er in der Sitzung die Anordnung niedergeschrieben, welche der Erfolg der Erörterung seyn sollte. In vertraulichen Gesellschaften besaß er in seinem Benehmen eine Naivetät, welche einen neuen Reiz über die mannigfaltige und anziehende Unterhaltung verbreitete, worin er einen wahrhaft alles umfassenden Geist entwickelte.
Als den 10. Mai Abends ihn die ersten Zeichen der Krankheit befielen, die ihn hinwegraffte, schloß er sogleich, daß es mit ihm vorbei sey. Er äußerte einiges Bedauern, daß er nicht seine angefangenen Arbeiten beendigen könne, aber bald faßte er sich, traf einige Anordnungen über die Herausgabe seiner Werke und gab den 13. Mai 1832 zu Paris seinen Geist auf. An diesem Manne haben die Naturwissenschaften einen unersetzlichen Verlust erlitten; er war der umfassendste Kenner derselben und ihr eifrigster Beförderer.
Die Wüsten Barka und Sahara in der Berberei bilden eine so ungeheuere, völlig unfruchtbare, aus
diverse: Das Pfennig-Magazin/Heft 1. Bossange Vater, Leipzig 1833, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_PfM_1833_05_04_nr_01.djvu/6&oldid=- (Version vom 29.5.2024)