nicht mehr. Vergeben – das ist alles, was ich noch vom Leben weiß!«
»Kein Mensch vermag einem anderen wirklich zu vergeben,« sagte der Fakir ohne die Frau anzusehen, »weil niemand eines anderen Tat ungeschehen machen kann. Was gewesen, muß weiterwirken. Aber,« wandte er sich zum Schlangenbeschwörer, »wir sollen trachten, nicht neue Tat zu schaffen. Gib jene Schädel hin und mach dich selbst dadurch von ihnen frei.«
»Frei?« rief der Gaukler, »mehr als frei, ihr Herr bin ich! Siehst du denn nicht, wie ich sie zwinge?« Und er schwang die Schädel, daß der Knochen auf sie niedersauste und es kreischend in ihnen aufschrie.
»Du glaubst nur, sie zu zwingen, – in Wahrheit sind sie es, die dich halten,« entgegnete der Fakir. »Dein Haß kettet dich ans Dasein, so daß du älter, als es sonst Schlangenbeschwörern beschieden, hast werden müssen. Erst wenn du es vermagst, dich von den armen Gebeinen zu trennen, deren Anblick dich zu stets neuer Tat des Zornes reizt, wirst du selbst nicht ruhelos mehr wandern müssen.«
Es war, als ob bei den Worten des Fakirs eine Veränderung mit dem Gaukler vor sich ginge; die Müdigkeit des Alters kam über ihn; wie ein grauer, Leben erlöschender Schatten kroch sie an ihm empor, und er
Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/039&oldid=- (Version vom 31.7.2018)