Das einzige, was Paquito an seinem neuen Beruf behagte, war, daß er nun die Stadt etwas kennen lernte. Er war ganz verwundert, daß es außerhalb des Hofes noch eine so große Welt gab, und konnte sich nichts Herrlicheres vorstellen, als den weiten Platz, wo die mächtige Kathedrale steht, deren hohe Türme in den Himmel zu reichen schienen. Vor der Kirche, wo die Indianerinnen allmorgendlich Blumenmarkt halten und große Haufen Mohnblüten umherliegen, wie rosa und blaßlila Wolken, da geigte er am häufigsten, denn die Knaben hatten erwerbskundig herausgefunden, daß an den Türen des Heiligtums und vor der stummen Schönheit der Blumen am meisten milde Gaben für den kleinen Musikanten abfielen.
Als aber Paquito dem freigeistigen Antonio erzählte, wie schön es vor der Kathedrale sei, antwortete dieser: »Da solltest du den Platz aber erst mal am Abend des Befreiungsfestes sehen – da würdest du Augen machen.« Befreiung? dachte Paquito, ja, hatten die großen gesunden Menschen denn nicht schon die Freiheit? Die waren doch in keiner Kiste gefangen, konnten gehen, so weit sie wollten, vermochten auch sich zu wehren, wovon sollten denn sie sich befreien?
»Was ist denn das: Befreiungsfest?« frug er. »Das ist die Gedächtnisfeier der großen Tat Hidalgos,
Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/063&oldid=- (Version vom 31.7.2018)