Der Königin Stirn verfinsterte sich: Verrat überall und nun noch Gefahr von außen. Die Alten im Rate hatten nur allzu deutlich gezeigt, daß sie die Lage als verzweifelt ansahen; die Feinde des fremden Herrscherpaares mehrten sich täglich, in großer Obermacht stand ihr Heer den Königsanhängern auf der Hochebene gegenüber.
Und der König sprach: »Welch Trugbild hat mich hierher gelockt! Als die fremden Männer kamen, mir die Krone anzubieten, da wähnte ich, daß ein Reich meiner harre, mich mit Jubel zu begrüßen. Der Wind trieb unser Schiff meiner Sehnsucht nie schnell genug über den Ozean, ich konnte den Augenblick nicht erwarten, mein Land und mein Volk zu erblicken, die ich schon liebte, ehe ich sie kannte. Aber seitdem wir hier sind, sehe ich täglich mehr, daß es ein unheilvoller Irrtum war. Keiner versteht, wie ich es meine, und die mich riefen, fallen zuerst von mir ab. Ich wollte Frieden und Gedeihen bringen, und nun soll um mich Bruder gegen Bruder kämpfen? Lieber als das sehen zu müssen, möchte ich den Rat befolgen, den heute mancher unter den Alten aussprach, und freiwillig verzichten, ehe für mich Blut geflossen. So komme ich zu dir, dich zu bitten: laß uns fort! Drunten im Hafen liegt ein Schiff bereit, und der Weg dorthin ist frei!«
Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/092&oldid=- (Version vom 31.7.2018)