sein, drin er stets sollte schöpfen können. – Jetzt erkannte sie, daß sie der Natur selbst zuwider gedacht und geplant hatte; denn es vermag wohl eine Frau, von der Kraft eines Mannes getragen, sich zeitweilig über sich selbst zu erheben, aber umgekehrt ist das unmöglich. Die Flamme der Inspiration kann die Frau wohl entfachen, aber den frohen Willen zur Tat, die Kraft und stetige Ausdauer muß der Mann zum Werke mitbringen. -
Über ihr eigenes Wesen begann sie nachzusinnen, wie sie so im Blütenregen des Abendwindes saß: was war es eigentlich, das diese rastlose Sehnsucht nach Taten in ihr gezeitigt hatte? Was war sie selbst? War sie die Wiedererstehung einer jener sagenhaften Königinnen, die einst im uralten Indien ihre Heerscharen selbst in den Kampf geführt haben? Oder war sie vielmehr eine verfrühte Erscheinungsform der künftigen Frau? -
Harrend und bangend saß die Königin noch manchesmal im versiegenden Tageslicht auf der Steinbank im Garten. Regungslos starrte sie hinab in den Abgrund, wo Abendnebel wogten, als erschaue sie dort unten etwas Grauenhaftes, das nichts mehr abwenden konnte. - Schweigsam und scheu nur nahten sich ihr die schwarzäugigen Marien.
Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/103&oldid=- (Version vom 31.7.2018)