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die bunten Dächer der niedriger gelegenen Tempelbauten hinweg und hinab auf die weite Ebene tief unten. Am fernen Horizonte standen grau und verschwommen die Umrisse der Pekinger Mauern und Türme. Man sah sie nicht deutlich; es war mehr ein Ahnen, daß dort eine große Stadt mit ihren vielen Leiden liegen müsse.

Ein seltsam weltentrücktes Empfinden überkam die Fremde, und in der Stille hörte sie wieder der wilden Tauben Girren: »rukuru, rukuru.« Sie lehnte sich über die Brüstung und lauschte ihnen; dann sagte sie leise: »Mir ist, als riefen sie mir zu: »ruhe du, ruh, ruhe auch du. Ach, wenn ich es doch könnte« –

Es war dann aber, als solle die Rastlose doch in dem Tempel etwas Ruhe finden. Sie blieb länger, als sie zuerst gedacht, und teilte der Trauernden träumerisch einsames Leben. Stundenlang saßen sie an dem kleinen Teiche, den der Gebirgsquell bildete; federnde Bambuszweige hingen darüber; große Goldfische mit seltsam gezackten Flossen lagen träge im Wasser, starrten zu ihnen aus glasigen Glotzaugen auf. Zusammen stiegen sie empor zur weißen Pagode, erblickten von dort oben Reihen auf Reihen langgestreckter Gebirgszüge, die, Wellenlinien gleich, in die Unendlichkeit zu fluten schienen. Zusammen auch standen sie in der heiligsten der Hallen, wo die drei Buddhas, der Vergangenheit, Gegenwart

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Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/120&oldid=- (Version vom 31.7.2018)