sagte sie tonlos: »Wozu Schatten der Vergangenheit Namen geben. Es war einer, der sich selbst kannte und wohl wußte, daß ihm die Märtyrerkrone zu schwer geworden wäre, die zu tragen bereit sein muß, wer, sich erbarmend, andere von ihrer Schuld erlösen will. Nach eigenem Glück, still, kampflos und klar, strebte er – und hat es dann auch gefunden bei einer, die ihm gerade das zu schenken vermochte.«
Wieder das tiefe Schweigen, beklemmend schier in der nun völligen Dunkelheit. Dann noch einmal, aus der tiefen Finsternis kommend, die müde Stimme der Unseligen. Wie ein Tasten auf qualvollem Wege: »Damals hat mich die große Rastlosigkeit erfaßt. In meinem Hause duldete es mich nicht mehr. Ich schloß es ab. Wandre seither unstet über die Erde, einsame Wege. Seh’ überall Leere. Nur manchmal auf langen Meeresfahrten, wenn nachts die Wogen gegen das Schiff schlagen, und ich mich über die Brüstung lehne, glaub’ ich aus der schaurigen Tiefe ein Antlitz mit ewig geöffneten, liderlosen Augen zu mir aufschauen zu sehen: es ist die Verzweiflung. Doch auch sie fürchte ich nicht mehr. Ich harre ja nur noch des letzten aller Gäste, des Gastes, für den wir nicht zu Haus zu bleiben brauchen, der uns, wo immer wir auch seien auf der weiten Welt, finden wird zu seiner Stunde.«
Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/128&oldid=- (Version vom 31.7.2018)