»Sind die erst wieder fortgefahren, so kommt er zurück und schließt sich dann stundenlang mit den neuen Zeitungen ein. Ich packe indessen die Sachen aus, die mit dem Schiff gekommen sind. Für mich ist auch immer irgend etwas Schönes dabei, das er mir bestellt hat.« Und dabei gleitet ein selbstgefälliges Lächeln über seine weichen Lippen.
Aber die fremde Frau hört sein Geschwätz gar nicht mehr. All ihre anderen Fähigkeiten sind wie ausgelöscht, sie kann nur noch sehen – sehen. Ihre ganze Lebenskraft ist in ihre Augen gebannt. Mit ihnen saugt sie das Bild dort draußen in sich ein, heißhungrig, wie eine lang Verschmachtete, gierig, als könne sie große Vorräte davon aufspeichern. Denn sie weiß ja: von dieser Stunde, von dem Blick auf jene ferne, fliehende Reitergestalt wird sie nun wieder lange zehren müssen.
Doch allzubald ist der Enteilende verschwunden.
Schwindelnd von dem angestrengten Schauen auf die blendende Fläche wendet sich die Reisende endlich vom Fenster ab und schreitet zurück ins Zimmer. Dabei kommt sie an einem der vielen Spiegel vorbei, und unbarmherzig wirft er ihr das eigene Bild zurück, in all seiner ergreifenden Verfallenheit, seinem bleichen Harme. Unwillkürlich bleibt sie stehen, hinstarrend auf das, was das Leben grausam aus ihr gemacht, als könne
Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/160&oldid=- (Version vom 31.7.2018)