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sie hier vielleicht Erklärung für schauriges Rätsel finden. Und zurücktastend in die Vergangenheit, sucht sie sich zu vergegenwärtigen, wie sie damals ausgesehen, vor vielen Jahren, als sie und jener Reiter sich in der fernen Welt der Lebenden gekannt.

»Die Schöne«, – »die Hübsche« wurde sie auch damals wohl von niemand genannt. Aber bisweilen wollte es sie doch dünken, als müsse sie gerade ihm anders erscheinen als allen anderen, als stände sie vor ihm so fein und durchsichtig wie Glas, daß er gar nicht anders könne, als all die Liebe aus ihr leuchten zu sehen, die ihm gehört hatte ihr ganzes Leben lang. Aber er hatte sie nicht geliebt. Nicht einmal beachtet. Und in verzagendem Bescheiden hatte sie sich damals vorgehalten, daß ihre eigene Unscheinbarkeit seiner ja auch gar nicht wert sei, seiner, den sie, in seinem eigenartigen Wesen, seinem überfeinerten Geschmack und seltsam schillernden Geiste anbetete gleich einer geheimnisvollen Gottheit … Und trotz allem, was sich seitdem ihrem schaudernd widerstrebenden Verstehen offenbart, steigt auch heute vor diesem Spiegel die oft gedachte Frage wieder in ihr auf: »Wäre vielleicht doch alles anders gekommen, wenn ich zu jenen Frauen gehört hätte, die so schön sind, daß sie überall Begehren erwecken, Frauen, denen niemand widersteht, deren Bild in den Herzen der einzelnen

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Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/161&oldid=- (Version vom 31.7.2018)