Der Hauptmann suchte aus allen Kräften in siegreicher Liebenswürdigkeit vor Cornelie zu erscheinen, aber Aurore bemerkte schnell, daß ihm das nicht gelang, und siehe! es that ihm Eintrag in ihrer Meinung. Das wäre bei einer wahren und tiefen Neigung nie geschehen! ob deren Gegenstand gefällt oder mißfällt, kümmert nicht das liebende Herz! es kann sich darüber gleichsam persönlich freuen oder betrüben, Einfluß auf seine Gesinnung hat es jedoch nie. Ich weiß wol, daß es bei den meisten Menschen eine ungeheure Wirkung macht, ob man den geliebten Gegenstand hoch oder tief in der allgemeinen Meinung stehen sieht, darum sag' ich ausdrücklich: nur auf eine wahre, tiefe Liebe ist sie wirkungslos; denn das eben ist deren Eigenthümlichkeit, daß sie den Maßstab der Welt aus der Hand fallen laßt. - Der Hauptmann sprach von Politik, Poesie, Wissenschaft, Naturschönheiten, Bestimmung des Menschen, Literatur; und als er, athemlos und erschöpft war, verbarg Cornelie mit Grazie ein sanftes Gähnen hinter ihrem Fächer. Die Überzeugung setzte sich in ihr fest, von einer Neigung könne zwischen diesen Menschen nie die Rede sein, und nur die Langeweile Aurora's und die geschmeichelte Eitelkeit des Hauptmanns stelle sie momentan in flüchtige Beziehung zu einander. Sie brachte am andern
Ida von Hahn-Hahn: Zwei Frauen. Erster Band. Berlin 1845, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Frauen_(Hahn-Hahn).djvu/167&oldid=- (Version vom 31.7.2018)