sie ließ ihn bald los, um sich zu dem Grabe des frommen Dichters niederzubeugen und die Inschrift mit leiser Stimme zu lesen: „Saat von Gott gesäet, am Tage der Garben zu reifen.“
Tewes schlich sich zu Rike und sagte in teilnehmender Bekümmernis: „War jewiß ein naher Verwandter von ihr, der Herr Klopfstock!“
Rike sah ihn mit Augen an, die vor Verwunderung rollten, dann lachte sie ziemlich laut und wandte, darüber erschreckend, ihr freundliches Gesicht zu Hannchen hin, ob die wohl die Frage gehört habe. Nein, es war noch gut abgegangen.
Tewes stellte sich, etwas gelangweilt, an den Stamm der Linde, schlug mit seinem gelben Stöckchen daran und sagte, nachdem er auch die Arme probeweise um den gewaltigen Baum gelegt: „Wenn der richtig jeschnitten wird, kann er mindestens eine halbe Million Hammerstiele liefern.“
Betroffen sahen die Geschwister in die prächtige Krone hinauf, in all die Tausende von leise schwankenden grünen Herzen, in deren jedem der geheimnisvolle Lebenssaft von Zelle zu Zelle stieg und seinen vollen frischen Odem über die stillen Grabsteine und die noch im Tageslicht Wandelnden ausgoß.
Hannchen fühlte plötzlich eine Träne ihr in’s Auge treten, sie senkte den Kopf und kehrte nach dem Wagen zurück.
Ilse Frapan-Akunian: Zwischen Elbe und Alster. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin, Leipzig 1908, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwischen_Elbe_und_Alster_Frapan_Ilse.djvu/048&oldid=- (Version vom 31.7.2018)