sich lachend, sie sei als Maria Stuart in gänzlich zerrissenen Kleidern von der Bühne gekommen, so maßlos habe sie gespielt. Lernen! lernen! studieren! sich selber bändigen und die starken Naturgaben ins schöne Maß der Kunst zwingen das sagten ihr Freunde und Rezensenten.
Und sie wollte ja gern lernen, aber man kann doch nur schwimmen, wenn man im Wasser ist! Und leben mußte sie doch auch, und wie soll man das machen, wenn man arm ist? Da muß man sich eben um eine Stelle bewerben, die man vielleicht noch nicht ausfüllen kann, muß den besten Fuß vorsetzen und zuversichtlich tun, ja wohl gar ein bißchen aufschneiden, nur damit der Direktor und die Kollegen nicht merken, wie grün man sich selber noch fühlt.
So war sie nach Braunschweig gekommen. Aber ach, hier hinter den Bergen wohnten auch Leute! Sie sah es mit Schrecken ein. Und diese Leute schienen das Geheimnis ihrer künstlerischen Unreife überraschend schnell herausgebracht zu haben. Die Kritiken sprachen ganz ungeniert davon. Die tragische Liebhaberin, in deren Stelle sie allmählich zu rücken gehofft, stand dazu so steifbeinig an ihrem Platz, wie es ihre schon etwas zittrige Persönlichkeit nur irgend erlaubte, und hielt ihre Julien-, ihre Gretchenrolle mit verzweifelten Händen fest!
Ilse Frapan-Akunian: Zwischen Elbe und Alster. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin, Leipzig 1908, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwischen_Elbe_und_Alster_Frapan_Ilse.djvu/084&oldid=- (Version vom 31.7.2018)