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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

Der Doppelgänger


Kriminalroman von Walther Kabel


(Nachdruck verboten)

(15. Fortsetzung)

Der Sanitätsrat und Werres konnten von ihren Plätzen die Bühne bequem überblicken. Dr. Friedrichs hatte das Opernglas eingestellt und suchte unter den auf der Szene Beschäftigten die eine Person, der jetzt alle seine Gedanken gehörten. Der alte Herr befand sich in einer Aufregung, die sich deutlich in seinem Mienenspiel, seinen zitternden Händen zeigte. Jetzt ließ er das Glas sinken und schaute enttäuscht zu Werres hin, der links von ihm saß. Dieser hatte ihm, als sie auf der elektrischen Bahn nach dem Schützenhause hinausfuhren, nur das eine noch gesagt: „Nicht im Zuschauerraum werden Sie den Gesuchten finden, sondern auf der Bühne!“ – Damit hatte sich der Sanitätsrat dann auch zufrieden gegeben.

„Ich sehe ihn nicht,“ – flüsterte Dr. Friedrichs vorsichtig – „sollten Sie sich nicht doch geirrt haben …?“

Aber Werres schüttelte den Kopf. „Ich habe mich nicht geirrt, Herr Sanitätsrat, verlassen Sie sich darauf und warten Sie ab.“ – Nein, Werres war seiner Sache ganz sicher. Als heute in der Mittagsstunde der Kriminalbeamte Müller bei ihm war und die Erfolge seiner Ermittelungen ihm berichtete, als er dann das Mitgliederverzeichnis nachher aufschlug und unter den Aktiven einen Namen las – den einen Namen, der ihn bis in seine Träume verfolgte, da hatte ihn ein Gefühl stolzer Genugtuung erfüllt: Auch diese seine scheinbar so haltlosen Schlußfolgerungen von zwei blonden Härchen in einer Krawattennadel bis hin zu der Person eines der Mitwirkenden des heutigen Abends, stimmten. Inzwischen hatte das Spiel auf der Bühne seinen Fortgang genommen. Es kam der Augenblick, in dem der Landrat die Szene betritt. Die Tür zu dem Restaurant öffnete sich, der Landrat erschien, eine hohe elegante Gestalt in Paletot und Zylinder, der mit seinem blonden gescheitelten Haar und dem wohlgepflegten langen Vollbart von derselben Farbe den vollkommenen Eindruck eines Aristokraten machte. Werres Augen weiteten sich, noch einmal schaute er scharf nach der Bühne, dann neigte er sich zu seinem Nachbar und sagte leise nur ein Wort: „Bitte!“

Der Sanitätsrat riß das Glas an die Augen; seine Hände zitterten so stark, daß die Personen auf der Bühne ihm hin und her zu tanzen schienen – und dann … Lange blickte der alte Herr angestrengt hin; als er das Opernglas senkte, war sein ehrwürdiges Gesicht merkwürdig versteinert; und heiser raunte er Werres zu: „Er ist’s!“ –


23. Kapitel.

Der Sonntag hatte nach dem klaren sonnigen Wetter des vorigen Tages Sturm und Regen gebracht. Es war ½10, als Werres nach unruhigem Schlaf aufwachte und nun langsam in Gedanken sich ankleidete. Gestern hatte er mit dem Sanitätsrat der „Traumulus“-Aufführung bis zu Ende beigewohnt. Als sie dann nachher in einer der Nischen der Dannerschen Weinstube saßen, da zeigten beide nicht viel Lust zum Reden. Der Sanitätsrat

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/47&oldid=- (Version vom 31.7.2018)