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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

Der Doppelgänger


Kriminalroman von Walther Kabel


(Nachdruck verboten)

(16. Fortsetzung)

„Also mit einem Wort: Sie wollen hier in unserer Gegenwart den Täter entlarven!“ sagte jetzt Hübner, indem er einen bewundernden Blick auf Werres warf.

„Nichts anderes, Herr Staatsanwalt! Nur muß ich nochmals betonen, die Herren müssen die ihnen zugeteilten Rollen mit vollständiger Harmlosigkeit spielen, sich nichts merken lassen, nichts …!“

„Eine Komödie, die um ein Menschenleben geht –“ meinte ernst der Sanitätsrat. – Werres bleiches Gesicht zeigte wieder jenen gequälten Ausdruck, der in den letzten 24 Stunden das ironische Lächeln vollständig verdrängt zu haben schien. Es war still in dem großen Raume geworden. Richter nagte nervös an seinen Schnurrbartspitzen, Hübner malte mit dem Bleistift verschnörkelte Arabesken auf das erste Blatt des vor ihm liegenden Aktenstückes und Dr. Friedrichs lauschte auf das Toben des Sturmes draußen, der die Scheiben des Glasdaches über dem Lichthof bisweilen laut klirren ließ. Der Regen rauschte dazu in monotonem Geräusch auf dieselben Scheiben; es klingelte, klapperte – eine eintönige Musik wie eine Trauermelodie. –

Die Stutzuhr auf dem Kamin schlug ¼12. Die Herren fuhren nervös zusammen, nur Werres zuckte mit keiner Wimper; er starrte vor sich hin auf die Stelle des Smyrnateppichs, wo an einem Freitag vormittag die Leiche eines Mannes gelegen hatte, der einem selten raffinierten Verbrechen zum Opfer gefallen war.

Der Staatsanwalt hüstelte leise. „Worauf warten wir noch, Herr Doktor?“ fragte er leise. Die ganze Situation bedrückte ihn. Was er da eben gehört hatte, die Rolle, die er in diesem Drama jetzt spielen sollte, das war alles zu plötzlich, zu unerwartet über ihn gekommen; soviel ungelüftete Rätsel sah er noch vor sich … und doch: Die Lösung würde erfolgen, aber nicht durch ihn, sondern durch jenen seltenen Menschen, den sie alle nun doch unterschätzt hatten.

„Auf den Kriminalschutzmann Grosse,“ entgegnete Werres aus seinen Gedanken auffahrend. – Es wurde wieder still im Zimmer. Als Grosse dann eintrat, fragte Werres nur kurz:

„Nun, ist etwas passiert?“

„Nein, Herr Doktor! Ich habe pünktlich bis 11 Uhr gewartet.“

„Sie werden nachher, wenn die Herren hier an der anderen Seite des Tisches Platz genommen haben, scharf acht geben! Auf wen, wissen Sie!“ – Werres Stimme klang matt, als machte ihm das Sprechen Mühe. „Sie setzen sich dort auf das Fensterbrett, Grosse, im übrigen verlasse ich mich ganz auf Sie. Nur kein vorschnelles Handeln! Ich gebe Ihnen einen Wink, wenn das, was ich fürchte, eintritt. Und nun … ja nun gehen Sie und bitten Sie den Prokuristen und die beiden Kassierer hierher – im Namen des Herrn Staatsanwalts. Die Herren sind oben im ersten Stock im Zimmer des Prokuristen – erste Tür rechts. Und Sie, meine Herren,“ sagte Werres, als Grosse verschwunden war, – „Sie bitte ich nochmals im Interesse der Durchführung meines Planes genau nach meinen Angaben zu handeln.“ Seine Stimme hatte plötzlich den müden Klang verloren; es war wieder seine alte, leidenschaftslose Sprechweise, in der man von seelischer Erregung nichts bemerken konnte.

Als die Gerufenen erschienen, erhoben sich die Herren und begrüßten sich. „Die Herren kennen sich wohl,“ meinte Hübner.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/50&oldid=- (Version vom 31.7.2018)