Seite:Der Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl.pdf/121

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Heinrich Friedrich Ferdinand Schmid: Der Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl im Reformationszeitalter. Im Zusammenhang mit der gesamten Lehrentwicklung dieser Zeit.

von einem erneuten Kampf sich nichts versprechen und verhielten sich darum still. Oder höchstens mochten sie glauben, die Schweizer stünden ihnen in dieser Lehre doch näher, als Luther zuletzt annahm, oder sie könnten näher kommen, wenn man ihnen Zeit liesse, und schwiegen jetzt, weil sie der Meinung waren, Luther hätte besser die Sache ihren Gang gehen lassen sollen. Eine geringere Werthlegung auf die Unterschiede der Lutherischen und Schweizerischen Lehre liegt darin nicht.

 Was hat nun die Folgezeit gebracht?

 Nachdem Luther gestorben war, kam es zu der Frage, wer hinfüro den Wagen Israels lenken solle? Naturgemäss richteten sich die Augen auf Melanchthon. Es hat ihm wohl kein Theologe die Führerschaft streitig gemacht, es hat aber wohl auch kein Theologe, auch keiner von seinen engsten Anhängern, ihm zugetraut, dass er mit so sicherer Hand lenken werde, als Luther. Dass sich sofort eine Partei zu bilden angefangen, welche den Melanchthon anzufechten entschlossen war, lässt sich nicht beweisen, und Planck, der es behauptet, hat es auch nicht bewiesen. Aber freilich fehlte es nicht an Solchen, welche den Melanchthon mit einem gewissen Misstrauen betrachteten. Daraus kann man ihnen keinen Vorwurf machen. Man weiss ja, was Luther bereits an Melanchthon auszusetzen hatte, wie er mit dessen Stellung in der Cöllner Reformation, und in der Abendmahlslehre theils unzufrieden, theils über sie bedenklich war. Vielleicht ist es auch wahr, dass er in Melanchthons locis manches geändert wünschte, wie Seckendorf behauptet.[1] Luther trug das im Gedächtniss an die grossen Verdienste Melanchthons, und konnte es leichter tragen in dem Bewusstsein, dass er einem weiteren Abirren zu wehren der Mann sei. Auch von den in Rede stehenden Theologen durfte man erwarten, dass sie den Verdiensten Melanchthons gebührende Rechnung tragen würden, aber die Lage der Dinge war jetzt doch eine andere. Jetzt kam die Führung an Melanchthon, und jene Theologen brauchten keine Nachbeter Luthers zu sein, wenn sie die Besorgniss


  1. cf. auch die handschriftliche Geschichte Ratzebergers über Luther und seine Zeit etc. von Neudecker. 1850. p. 139.
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Friedrich Ferdinand Schmid: Der Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl im Reformationszeitalter. Im Zusammenhang mit der gesamten Lehrentwicklung dieser Zeit.. J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig 1868, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Kampf_der_lutherischen_Kirche_um_Luthers_Lehre_vom_Abendmahl.pdf/121&oldid=- (Version vom 1.10.2017)