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vollenden zwei Engelknaben, welche bis unter die aufliegenden Arme zu sehen sind, die großartig einfache Composition. Erheben wir den Blick zur Muttergottes empor! Wie im heftigen, wolkenzertheilenden Windeswehen, in welchem das blaue Uebergewand über ihr Haupt wie ein Segel links hinüberweht, trägt sie in ihren Armen den aufrecht sitzenden Knaben herunter. Er sitzt weniger auf ihren Armen, als in dem Gewande, welches sich zwischen ihren Händen zu einem Tragsessel spannt. Er thront darauf in göttlicher Ruhe, auf das linke Knie den rechten Fuß und um das Fußgelenk die linke Hand gelegt, während er die rechte weder zum Segnen noch zu irgend einer Bewegung gebraucht, sondern sie nur an sich hält. Er erscheint hier nicht als der Sohn der Mutter, durch welche wir ihm brüderlich nahe gestellt sind, sondern als der Sohn Gottes. Wer ist so rein im Herzen, um den entsetzenden Blick seiner Augen ertragen zu können? Es ist der Blick, mit welchem der junge Gott des fleischtödtenden Christenthums mit innerstem Abscheu zuerst die Niedertracht einer in Sündenlust versunkenen Welt erblickt. Dieser Knabe wird sie einst richten und verdammen. – Auch Maria trägt den Knaben nicht wie eine Mutter, sondern als eine Jungfrau, welche nie die Liebe zu einem Manne in dem Herzen gefühlt hat. Sie kennt in der Strenge übermenschlicher Unschuld keine Sünde, sie ist auch hier keine Vermittlerin der sündhaften Menschheit, deren

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Julius Mosen: Die Dresdener Gemälde-Galerie. Arnoldische Buchhandlung, Dresden und Leipzig 1844, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Dresdener_Gem%C3%A4lde-Galerie_(Mosen).pdf/17&oldid=- (Version vom 31.7.2018)