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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Eine literarische Freibeuterei.

Von E. Werner, der Verfasserin der in der Gartenlaube abgedruckten vielgelesenen und belobten Erzählungen „Hermann“, „Ein Held der Feder“, „Am Altar“ und „Glück auf“, erhalten wir behufs Veröffentlichung in unserer Zeitschrift nachstehende Erklärung:

„Es ist zur Kenntniß des Redacteurs der Gartenlaube und zu der meinigen gelangt, daß meine bisher festgehaltene Anonymität in einer ebenso seltsamen als verletzenden Weise ausgebeutet wird, indem eine mir bisher dem Namen und der Person nach völlig Unbekannte sich in den verschiedensten Kreisen für die Verfasserin meiner unter dem Pseudonym E. Werner erschienenen Erzählungen ,Ein Held der Feder‘, ,Am Altar‘ und ,Glück auf‘ ausgegeben hat und noch ausgiebt. Nachdem festgestellt worden, daß es sich hier weder um einen Irrthum noch um ein Mißverständnis handelt, vielmehr eine unzweifelhaft betrügerische Absicht vorliegt, habe ich die Redaction ersucht, die Sache ohne fernere Schonung und mit vollster Namensnennung der Öffentlichkeit zu übergeben, um dadurch einem Betruge ein Ende zu machen, der vielleicht schon einen Theil des Leserkreises der Gartenlaube getäuscht hat, und den ich hiermit sammt seiner Urheberin ohne jeden weiteren Commentar dem allgemeinen Urtheile preisgebe.

Elisabeth Buerstenbinder.

Zur näheren Erläuterung dieser Abwehr hat die unterzeichnete Redaction hinzuzufügen:

Bereits im Frühjahre dieses Jahres empfingen wir aus Schwaz (Tirol) eine briefliche Mittheilung, nach welcher eine in der Zuschrift nicht genannte Dame als Verfasserin der Werner’schen Romane proclamirt wurde. Der Brief lautet:

      Geehrter Herr Redacteur!

Ich habe seit einigen Jahren das Vergnügen, eine junge Dame zu kennen, die sich mir in letzterer Zeit brieflich als die Autorin der in Ihrer geschätzten Zeitschrift „Die Gartenlaube“ erschienenen Novellen „Ein Held der Feder“, „Am Altar“ etc. nannte. Andererseits aber wurde als Verfasserin dieser Sensation machenden Novellen Fräulein Bürstenbinder aus Berlin genannt. Da mich die Sache nun außerordentlich interessirt, fühlte ich mich verpflichtet, der mir bekannten Dame, die ich nach ihren Mittheilungen für die wahre Verfasserin halten muß, von obengenannter im Publicum verbreiteter Meinung Nachricht zu geben. Aus dem Antwortschreiben der jungen Dame entnehme ich nun folgende Stellen:

„Vor Allem nun will ich zur Aufklärung dieser sonderbaren Pseudonym-Verwechselung schreiten, welcher Sie mit einiger Spannung entgegensehen werden. Die Sache verhält sich in folgender Weise: Ich schrieb vor mehreren Jahren, eben als ich von Innsbruck nach Wien kam, an mehrere Zeitschrifts-Redactionen und schickte ihnen mehrere kleine Novellen zur Aufnahme. Dieselben sandten sie mir zurück mit dem Bedeuten, sie nicht verwenden zu können. Als der deutsch-französische Krieg beendet war, schrieb ich meinen ,Federhelden‘(!) und wußte aber nicht, was damit anfangen, da ich mich nicht abermals Zurückweisungen aussetzen wollte. Der Redacteur der ,Wr. Tagespresse“ sagte mir, daß er mir zur Verwendung behülflich sein wolle. Er schickte meinen ,Hermann‘, ,Federhelden‘, ,Ohne Rast und Ruh’ an verschiedene Redactionen und Schriftsteller, welche sie alle nicht verwenden zu können vorgaben. Endlich gab er mir die Nachricht, daß eine Schriftstellerin in Berlin, welche für die ‚Gartenlaube‘ arbeite und mit deren Verleger befreundet sei, versprochen habe, womöglich die Aufnahme meiner Novellen in der ‚Gartenlaube‘ zu bewirken. Ich hatte dem Tagespressenredacteur keinen bestimmten Pseudonym angegeben und war daher durchaus nicht überrascht, als er mir mittheilte, meine Novellen würden unter dem Namen ,Ernst Werner‘ erscheinen. ,Ohne Rast und Ruh‘ erhielt ich zurück; ,Held der Feder‘ und ,Hermann‘ wurden gedruckt. Auf ,Am Altar‘, welches ich bald darauf wieder dem Tagespressenredacteur übergab, erhielt ich den Bescheid, nicht brauchbar zu sein, erschien jedoch, wie ich später erst hörte, als es schon gedruckt wurde, dennoch in der ,Gartenlaube‘. Sonst wußte ich vor Ihrem Briefe nichts davon, daß eine andere Person auch unter dem Namen Ernst Werner schrieb. Indem ich aber die gütig übersandte Zeitungsannonce lese, kann ich mir die Sache nicht anders erklären, als daß besagtes Fräulein Bürstenbinder meinen Novellen ihren eigenen Pseudonym gegeben und so nun die Leser meine Arbeiten für die Ihrigen halten. Ich habe sogleich nach Erhalt Ihres Briefes an die Redaction der ‚Tagespresse‘ nach Wien geschrieben, um mir von dem Redacteur Rath zu erbitten in der Sache. Fräulein von Blum, welche ich persönlich kenne und welche früher Redactrice der ‚Frauenzeitung‘ war (Beilage der ‚Tagespresse‘), schrieb mir zurück, daß Herr Enke die Redaction niedergelegt und Wien verlassen habe. Mir bleibt also nichts übrig in der Sache, als zu schweigen, wenn ich nicht etwa einen Preßproceß gegen Fräulein Bürstenbinder anstrenge und die Leute, welchen ich besagte drei Novellen noch im Manuscripte mitgetheilt, als Zeugen aufrufen will. Der Proceß würde mir aber zu nichts nütze sein, als Höchstens meinen Namen als Autor bekannt zu machen; denn Fräulein Bürstenbinder kann man daraus keinen Vorwurf machen, daß sie für die Arbeiten eines Anderen den Pseudonym Ernst Werner gewählt, wenn der ihrige auch E. Werner ist, denn es stand ihr ja die Wahl eines Namens für mich frei. Und Herr Keil, der Redacteur der ‚Gartenlaube‘, weiß nichts davon, daß ich der Verfasser dieser paar Novellen bin, er hält vermuthlich Fräulein Bürstenbinder für den Autor. Mich kennt er bis jetzt nur als Verfasser von lyrischen Gedichten, deren er einige unter meinen eigenen Initialien M. T. in seinem Blatte aufgenommen.“

Wie Sie nun aus dem obigen Citate ersehen, Herr Redacteur, scheint das Fräulein nicht geneigt zu sein, ihre Autorschaft zur Geltung zu bringen, und es ist nur ein rein privates Interesse, was mich veranlaßt, Ihnen diese Mittheilung zu machen und Sie, Herr Redacteur, zu bitten, mir womöglich geneigte Auskunft über den wahren Sachverhalt zu geben, wodurch ich in die angenehme Lage käme, die hiesige Gesellschaft, der das Fräulein ebenfalls bekannt ist, von ihren Zweifeln zu befreien. Wollen Sie nun so freundlich sein, meine bescheidene Anfrage nicht im Kleinen Briefkasten der Redaction, sondern durch ein paar Zeilen direct an mich zu beantworten, so würden Sie mich außerordentlich verbinden.

Achtungsvoll
M.

Im Zweifel, ob wir über dieses Gewebe von durchweg frechen Lügen lachen oder uns darüber ärgern sollten, betrachteten wir die Reclamationen der uns unbekannten Usurpatorin schließlich doch als Ausgeburt eines kranken Gehirns oder als eine freche Schwindelei und beantworteten in diesem Sinne das betreffende Schreiben, indem wir zugleich der Verfasserin der eben im Druck befindlichen Erzählung „Glück auf“ die sonderbare Anklage mit einigen scherzenden Worten einsandten. Da auch auf diese Antwort der Name der „jungen Dame“ von Schwaz aus nicht genannt wurde, so war vorläufig eine weitere Verfolgung des Intermezzos unmöglich und unterblieben deshalb alle weiteren Schritte.

Wir bitten indeß unsere Leser, nicht zu übersehen, daß in obiger Zuschrift die „junge Dame“ sich auch die Autorschaft des „Hermann“ anmaßt, während diese in einer späteren Zuschrift kurzweg abgeleugnet wird.

Wenige Monate darauf (Ende Juni) lief von Pest das nachfolgende Schreiben des dortigen Buchhändlers Herrn Aigner an den Redacteur dieses Blattes ein:

Pest, 26. Juni 1873.

      Geehrtester Herr College!

Hierdurch erlaube ich mir, mich in einer heiklen Angelegenheit an Sie zu wenden, die für mich wichtig ist und für Sie nicht ohne Interesse sein kann. Es handelt sich nämlich um eine Mystifikation (wohl auch etwas mehr), deren Lüftung und Klärung für uns Beide zum Mindesten ein interessantes Problem sein muß.

Doch zur Sache.

Ich lernte unlängst ein Fräulein –a von T– kennen, die man mir als Verfasserin der unter dem Pseudonym E. Werner in der Gartenlaube erschienenen Novellen „Ein Held der Feder“ etc. vorstellte. Ich interessirte mich natürlich sofort sehr lebhaft für sie und auf meine Frage über ihr Pseudonym, über ihre Arbeiten etc. theilte sie mir die Geschichte der Gartenlaube-Novellen mit, die, so seltsam sie auch klingen mag, doch so viel psychologische Wahrscheinlichkeit enthält, daß ich mich zur Entwirrung dieses gordischen Knotens um so eher erbot, als ich dabei geschäftlich interessirt bin und in der Sache auf dem Wege des Gesetzes – wenigstens vorläufig – gar nichts zu erreichen und zu erwirken wäre.

Ich wende mich daher zunächst an Sie, den anerkannten Ehrenmann (der, wie ich sicher annehme, die Literatur gleich mir nicht blos als melkende Kuh betrachtet), mit der Bitte, den Verlauf der Historia anzuhören, sich darüber Ihr Urtheil zu bilden und mir dann mit Rath und That in meinem Vorhaben beizustehen.

Die Erzählung des Fräuleins T– lautete folgendermaßen (ich habe sie schriftlich in Händen):

„Ich schrieb im Laufe früherer Jahre, als ich noch zu Hause lebte, sechs Novellen, von welchen zwei noch Fragment, eine andere noch unbetitelt waren, als ich im September 1870 die Heimath verließ und mich nach Wien begab, um dort meine musikalischen Studien zu vollenden. Meinen streng aristokratisch denkenden Verwandten hatte ich zu Hause meine belletristischen Versuche vorgelesen, sie waren aber darüber sehr wenig erbaut, da dieselben – wie sie behaupteten – meiner emancipirten (?) gegen die herkömmliche Weltordnung zu sehr Ausdruck gaben. Sie forderten (auch außerdem stricte von mir, daß ich, wenn ich je etwas in dieser Tendenz Verfaßtes veröffentliche, es nur unter einem Pseudonym, nicht unter meinem Familiennamen thue. Mit der Veröffentlichung hatte es aber noch seine guten Wege, denn sämmtliche Redacteure und Verleger, an welche ich mich wandte, sagten mir, ohne meine Arbeiten auch nur zur Durchsicht zu acceptiren, daß sie von Anfängern nichts publiciren. So ließ ich denn meine Manuscripte in meinem Schreibtische ruhig ihrer Auferstehung entgegenschlummern, arbeitete aber zugleich eines der Fragmente,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_714.JPG&oldid=- (Version vom 6.1.2019)